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RPlus | Wirklich positive Verstärkung?
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Es ist alles trainierbar!

 

Dies ist ein sehr häufig in ähnlicher Form zu lesender Leitsatz unter Clickertrainer*innen. Damit soll demonstriert werden, wie mächtig und potent die eigene Methode ist, dass sie quasi grenzenlos glücklich macht und die Offenbarung für schnelle Erfolge ist. Aber dieses Mantra, dass wirklich alles trainiert werden kann, wenn man denn alles richtig macht, der*die perfekte Trainer*in ist, viel Zeit und das richtige Feeling hat, bereitet so manchem*mancher Pferdeliebhaber*in sehr viel Stress.

If people can´t control their own emotions, then they have to start trying to control other people´s behavior. John Cleese

Wem willst du was beweisen?

 

Auf der einen Seite muss natürlich zunächst überlegt werden, ob die eigenen Ziele realistisch sind und ob sie mit einem vernünftigen Arbeitsaufwand auch umsetzbar sind. Auch aus anderen Gründen ist es aus meiner Sicht gar nicht immer sinnvoll alles hypothetisch Mögliche überhaupt trainieren zu wollen. Vornehmlich bei erlebten Traumata oder extremen Angststörungen hilft es nur sehr bedingt, dass das Tier wieder und wieder belastenden Situationen ausgesetzt wird. Es kann sich nicht wie ein betroffener Mensch aktiv dafür entscheiden eine „Psychotherapie“ machen zu wollen, sondern wir entscheiden immer für unser Tier. Gar nicht immer, weil wir wirklich die Notwendigkeit verspüren ihm zu helfen, sondern einfach deswegen, um zu beweisen, wie toll unsere Methode ist. So genial, dass es sogar möglich ist derartige Problemfelder anzugehen. Dabei konzentrieren wir uns zwangsläufig auf die „Fehler“ des Pferdes, seine scheinbaren Mängel und Makel, die es glattzuschleifen und zu bearbeiten gilt.

Traumabewältigung mittels Clickertraining?

 

Egal ob wir nun gute Absichten haben oder eine positive Trainingsmethode verfolgen, immer wird das Tier spüren, dass wir uns wieder und wieder mit seinen Unzulänglichkeiten beschäftigen. Natürlich kann man jetzt wieder argumentieren, dass der clevere, erfahrene Trainer*innen diese Fehler nicht machen wird. Doch wie viele nicht ganz so informierte Tierbesitzer*innen konzentrieren sich dennoch genau darauf? In der Humanpsychologie gibt es den Ansatz, dass es nicht immer für die Entwicklung der Persönlichkeit und die Gesundung der Psyche sinnvoll ist, Traumata wieder und wieder durchzuarbeiten und mit ihnen konfrontiert zu werden. Lösungsstrategien können auch ganz andere sein, doch das verbauen wir uns oft mit dem verengten Fokus auf das Problemlösen mittels Clickertraining.

Mit Besonderheiten leben lernen

 

Warum können wir Mensch nicht lernen mit den Besonderheiten unseres Tieres zu leben? Wir könnten ja genauso gut unser eigenes Verhalten und unsere Ansprüche an Andere ändern. Doch da sind wir auch schon bei einem Kernthema der psychologischen Flexibilität. Wenn es so einfach wäre unser Verhaltensrepertoire langfristig und nachhaltig zu verändern, dann könnten wir alle von heute auf morgen unser Leben ändern, unsere Ängste verarbeiten, Suchtverhalten bekämpfen und Zwänge lösen. Doch richtig, die Rückfallquote ist auch beim Menschen sehr hoch. Es wirklich zu schaffen gelingt auch mit professioneller Hilfe und auch obwohl wir über menschliche Probleme wesentlich mehr wissen als über die tierische Psyche bei weitem nicht jedem*jeder. Und das obwohl wir mit menschlichen Klient*innen über traumatische Erlebnisse sprechen können.

Engstirnige Ambitionen

 

Aber es ist eben immer einfach den*die andere*n – in diesem Falle das Tier – verändern zu wollen und so zu tun als hätten wir für alles eine Lösung. Wer da nicht mitkommt, der hat eben etwas falsch gemacht. Dabei ist keine Methode unfehlbar. Verhalten erklärt sich eben nicht nur aus seinen Konsequenzen. Es verändert sich auch durch die innere Wahrnehmung. Äußere und innere Prozesse beeinflussen gleichermaßen das Verhalten. Es ist unmöglich Verhalten rein als eine Folge der Konsequenzen anzusehen und damit alles mittels Clickertraining ändern zu können.

Exkurs – Neben der Spur

Exkurs in die Lernpsychologie

 

Sind in unserem Alltag schlecht beeinflussbare Positivverstärker anwesend, wie etwa dass sich unser Pferd mit dem fettem Gras am Wegesrand selbst belohnt oder sich dem ungeliebten Longentraining mit der Flucht vor uns auf der Weide entzieht, so werden sie sich von diesen verlockenden Lösungsstrategien nur sehr ungern verabschieden und uns zu Abstrichen beim Erreichen des angestrebten Lernziels zwingen. Hierzu haben Marian und Keller Breland (direkte Schüler*innen des berühmten B.F. Skinner, dem geistigen Vater des Konzeptes der operanten Konditionierung) in den 1940er und 50er Jahren bei ihrer Arbeit mit Waschbären herausgefunden, dass Verhalten nicht immer stabil trainierbar ist, wenn Instinktverhalten involviert ist. Das liegt augenscheinlich daran, dass im natürlichen Verhaltenscode die Tendenz angelegt ist, vornehmlich auf ein stark genetisch verankertes Verhalten zu wechseln, wenn ein ähnliches Setting besteht. Die Waschbären der legendären Breland-Studie sollten beispielsweise lernen Münzen in eine Spardose zu stecken. Das trainierte und über Futter verstärkte Verhalten wurde zunächst grandios gezeigt, es war allerdings in manchen Fällen nicht von Dauer. Die Waschbären „wussten“ zwar, wie die Aufgabe funktioniert, sie verbrachten aber mehr und mehr Zeit damit die Münzen für sich zu behalten, mit ihnen zu spielen und sie in ihren Pfoten zu drehen oder sie unter Wasser zu bearbeiten, wie sie es in ihrem natürlichen Umfeld mit ihrer Nahrung gern tun würden. Und das obwohl sie weiterhin lediglich für das „korrekt“ trainierte Verhalten belohnt wurden. Es gibt also gewissermaßen einen „Hang zum Instinktiven Verhalten“ eben zu jenen Verhaltensweisen, die für das Tier sehr befriedigend, hochinteressant oder genetisch tief verankert sind.

Instinctive drift oder instinktive Überlagerung

 

Dieses Phänomen lässt sich in Bezug auf unsere Pferde folgendermaßen interpretieren: Wir können zwar mit Hilfe der positiven Verstärkung und einem durchdachtem Trainingsaufbau viele vermeintliche Problemfelder unserer Pferde „bearbeiten“, aber auch bei ihnen wird sich immer wieder der instinctive drift also ihr wildes Erbes kraftvoll durchsetzen. So werden sehr ängstliche oder sogar durch ihre Vergangenheit traumatisierte Pferde unter Umständen ihrem Urinstinkt gehorchend etwa mit Fluchtverhalten reagieren auch wenn wir sie über Belohnung zu einer Annäherung bestärken möchten. Der instinctive drift ist eben in manchen seelischen Konfigurationen bei unseren Pferden stärker, weil sie etwa als Fluchttier eher zu ihrem ursprünglichen Verhalten tendieren als zu unseren verlockenden Leckerlis.

Grenzen der Trainierbarkeit

 

Es ist wichtig sich ein klares Bild nicht nur zu den Traumvorstellungen, Wünschen und Erfolgserlebnissen aus der rosarot gefärbten Traumwelt zu machen, sondern ebenso zu den Grenzen der Trainierbarkeit im aktuellen Einzelfall. Für mich ist es wichtig zu aller erst auch die eigenen Grenzen zu erkennen und letztlich auch ein Stück weit zu akzeptieren. Natürlich kann man an der eigenen Persönlichkeit arbeiten, es wird uns aber vermutlich schwerfallen aus einem*einer eher unsicheren ängstlichen Reiter*in eine*n Stuntreiter*in mit viel Mut und Risikobereitschaft zu machen. Wir alle handeln im Spiegel unserer tief in uns verankerten Persönlichkeitsmerkmale. Diese sind freilich nicht völlig unveränderlich, aber dennoch so sehr Kennzeichen unserer Selbst, dass es fraglich ist, ob wir überhaupt versuchen sollten diese grundsätzlich zu verändern. Mit dem Akzeptieren der eigenen Talente und Schwächen fällt es meist auch leichter die Talente und Schwächen des Pferdes überhaupt erkennen, wertschätzen und akzeptieren zu können, ohne diese sofort in Frage zu stellen.

Realistische Einschätzung

 

Daneben ist es entscheidend den Faktor Zeit und die eigenen Möglichkeiten nicht zu optimistisch zu betrachten. Es gilt wirklich eine Prioritätenliste zu erstellen, die nicht mit dem schönen Schein nach außen oder den Mindestanforderungen irgendwelcher anderer Pferdemenschen geführt, sondern mit den eigenen Herzenswünschen und dem eigenen positiven Gefühl zu verantworten sind. Einem*Einer Clickeranfänger*in, der*die vielleicht neben der Arbeit und der umfangreichen Pflege eines eigenen Pferdes in Offenstallhaltung nur noch wenige Stunden pro Woche gemeinsam mit seinem*ihrem Pferd trainieren kann, wird nicht dieselben Erfolge erzielen können wie ein*e Profitrainer*in, das liegt in der Natur der Sache. Aber auch das ist überhaupt nicht schlimm, jede*r macht immer dann das Beste aus seinem Leben mit Pferd, wenn er*sie nicht versucht das Leben eines*einer anderen zu kopieren, sondern die vielen bisher unentdeckten Perlen des Zusammenseins zu finden.

Abhängig vom Pferdetyp und der Lebensgeschichte

 

Insbesondere wenn wir an Erziehungsaufgaben oder gar an die Arbeit an einzelnen Problemfeldern denken, kommt bei dem Blick auf die Grenzen der Trainierbarkeit auch die Seite des Pferdes ins Spiel. Auch hier spielt der Charaktertyp, die Rasse, das Geschlecht und das Alter durchaus eine Rolle bei der Frage wie wahrscheinlich es ist, in einer bestimmten Konstellation wirklich zum Ziel zu gelangen. Second-Hand-Pferde, Crossover-Tiere oder Persönlichkeiten mit traumatischen Vorerfahrungen werden meist nicht ganz genauso unbefangen und selbstverständlich an die an sie herangetragenen Aufgaben herangehen wie das selbstgezogene Fohlen.

Freund*innen eigene Wesensmerkmale zugestehen

 

Verallgemeinernd kann man sagen, dass es etwa doppelt so lange dauert eine gangbare Lösung für ein Problem zu etablieren, wie es gedauert hat, das Problem entstehen zu lassen. Jede*r muss sich nun selbst ausrechnen, was man beispielsweise nach vielen Jahren unglücklicher Umstände wirklich Wichtiges verändern möchte und welche Persönlichkeitsmerkmale des Pferdes man einfach hinnehmen kann, dass es nun einmal so ist wie es ist oder dass man bestimmte Freizeitaktivitäten einfach ausklammern kann. Gerade wenn gesundheitliche Probleme, Schmerzen, chronische Krankheiten oder hormonelle Schwankungen beim Tier – und natürlich auch bei uns Menschen – beteiligt sind, wird eine Lösung des Problems oder ein bestimmtes Ausbildungsziel entweder nur mit Abstrichen oder aber nur in Kombination mit vielen anderen Maßnahmen erreichbar sein.

Das eigene Selbstbild

 

Es ist also schlicht eine Aufgabe der eigenen Selbstkontrolle, auch einmal abwarten zu können und nicht überall einen Ansatz zu sehen mit den eigenen Trainings-Werkzeugen sofort Handlungsbedarf zu sehen, sondern zunächst zu überprüfen, ob unser Trainingsansatz überhaupt sinnvoll und in welchem Ausmaß eigentlich möglich ist. Vor allem auch aus Sicht des Pferdes betrachtet, da unser Training ja möglichst das körperliche und seelische Empfinden des Tieres, sein Lebensglück steigern soll und erst in zweiter Linie unseren Ansprüchen und dem Ausleben unserer Wünsche dient. Also lautet die Frage immer wieder: “Was bringt es meinem Pferd wirklich es in diesem Punkt ändern zu wollen?“

Die herzlichsten Grüße, Marlitt

(1) Breland, M.; Breland, K. „The misbehavior of organisms“. Animal behavior enterprises, Hot Springs, Arkansas

 

(2) Powell, R. W.; Curley, M. (1976). „Instinctive drift in non-domesticated rodents“. Bulletin of the Psychonomic Society. Retrieved 17 November 2017

 

(3) Lyall‐Watson, M. (1963), A CRITICAL RE‐EXAMINATION OF FOOD “WASHING” BEHAVIOUR IN THE RACCOON (PROCYON LOTOR LINN.). Proceedings of the Zoological Society of London, 141: 371-393. doi:10.1111/j.1469-7998.1963.tb01617.x

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Marlitt Wendt

 

 

Ich bin Verhaltensbiologin und eine Pionierin auf dem Gebiet des Trainings mit positiver Verstärkung für Pferde. Das was zunächst als private Leidenschaft begann, ist seit fast 20 Jahren meine Berufung. Ich habe meinen Traum verwirklicht und durfte mein Wissen und meine Erfahrung als Autorin in vielen Sachbüchern und Fachartikeln veröffentlichen und als Dozentin auf Seminaren im gesamten deutschsprachigen Raum in der Praxis umsetzen. RPlus ist nun die Quintessenz meiner bisherigen Arbeit. Mit RPlus als Idee, positive Verstärkung in ihrer Gesamtheit darzustellen und den Grundgedanken des Gebens wirklich zu leben, veröffentliche ich hier lerntheoretische Inspirationen, meine eigenen Ausbildungskonzepte und persönliche Einblicke in meine Pferdewelt.

Conny Ranz

 

 

Ich bin Pferdefotografin und Grenzgängerin. Mit meiner Kamera bewege ich mich zwischen den Welten. Zwischen Tier und Mensch, zwischen Traum und Realität. Pferde ihrer Natur entsprechend in ihrer ganzen Persönlichkeit zu zeigen, begeistert mich damals wie heute. Dazu bin ich unter anderem europaweit auf den Spuren der Wildpferde unterwegs. Diese Begegnungen erwecken stets den Mut zur Freiheit in mir. Mit meinen Bildern durfte ich bereits an einigen Buchprojekten namhafter Verlage sowie in diversen Pferdemagazinen mitwirken. Vor allem aber verleihe ich damit unserem gemeinsamen Herzensprojekt RPlus aus vollster Überzeugung Flügel.

AUTHOR: Marlitt Wendt