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RPlus | Das Beziehungsgeflecht der Hengste
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Hengste auf der Sommeralm

 

Die Hengstalm ist im Sommer ein wunderbarer Ort um Pferdeverhalten zu beobachten. Vor allem wenn man sich für das Sozialverhalten von Hengsten und deren Herdenstrukturen interessiert, wird man auf der Sommeralm fündig werden. Die Hengste demonstrieren im Verlauf des Sommers die pferdetypische Art der Gruppenbildung. Wer mehrfach zur Beobachtung vor Ort ist, kann live miterleben, wie ein Beziehungsgeflecht entsteht und Freundschaften vertieft werden.

Erstes Kennenlernen beim Almauftrieb

 

Der Erstkontakt kann unter Hengsten durchaus etwas rau und ruppig verlaufen. Gerade wenn diverse einander bisher nicht bekannte Tiere gemeinsam auf die Alm kommen, so werden sie zunächst ihr Imponierverhalten und Erkundungsverhalten zeigen um einen ersten Eindruck bei den anderen zu hinterlassen. Da in diesen Gruppen ausschließlich männliche Pferde, auf manchen gar nur Hengste zusammenkommen, bildet sich natürlich nicht die klassische Pferdeherde als Familienverband mit einem Haremshengst und seinen Stuten, sondern eine sogenannte Junggesellengruppe. Der wissenschaftliche Begriff einer solchen „bachelor group“- Konstellation drückt vielleicht noch deutlicher aus welche Herdenform damit gemeint ist:

Bachelor Groups

 

Ursprünglich fanden sich in einer solchen Form junge unerfahrene Hengste zusammen, die noch nicht reif und stark genug für eine eigene Familie waren. Kennzeichnend für Bachelor Groups ist ein lockerer Herdenverbund. Die Hengste kennen sich gegenseitig, verbringen viel Zeit miteinander und fungieren auch wechselseitig als Schutzgemeinschaft. Dennoch sind die Bindungen untereinander nicht so eng wie in einem Familienverband. Gewissermaßen ist eine Junggesellengruppe ein Übergangsstadium. Für eine gewisse Zeit leben eine variable Anzahl an Pferden zusammen. Nach und nach verändern sich in der Natur solche Gruppen dadurch, dass einige Hengste eigene Familienverbände gründen und andere wiederum die bachelor group wechseln.

Lockere Beziehungen

 

Beobachten wir nun die Haflinger, Noriker oder Lipizzaner den Almsommer über, so werden diese eher lockeren Beziehungen untereinander auch dadurch deutlich, dass man zwar auf der einen Seite besonders befreundete Tiere auch häufig miteinander grasen und gegenseitig Fellpflege betreiben sieht, andererseits aber durchaus offene Gruppen entstehen sieht. Gerade beim spielerischen Kräftemessen wechseln die möglichen Spielpartner häufig und man wird fast jeden Hengst mit jedem anderen Hengst hin und wieder Zeit verbringen sehen.

Besonderheiten des Junggesellenlebens

 

Eine Besonderheit des Junggesellenlebens auf der Alm ist die sich bildende Herdenstruktur. Nach und nach entsteht ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht. Jeder Hengst lernt seine Position in Bezug auf die anderen auch dadurch kennen, dass er zum einen direkt mit jedem anderen die Kräfte misst und darüber hinaus alle anderen Tiere genau beobachtet. Aus der Beobachtung der Auseinandersetzungen anderer Zweierkonstellationen heraus registriert jedes Pferd wer wem gegenüber welche Verhaltensweisen zeigt. Betrachtet man die Gruppe als Ganzes, so wäre es viel zu stark vereinfacht, wenn man davon ausgehen würde, dass sich eine Rangordnung in Form einer starren Hierarchie ausbildet, bei der ein einzelner Hengst als Alleinherrscher komplett über die anderen bestimmt.

Individuelle Aufgabenteilung

 

Dieser Blick auf die Pferdeherde mit der Theorie eines einzigen Leithengstes wird in der Forschung inzwischen als veraltet betrachtet. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich die Vielschichtigkeit der Beziehungen auch dadurch, dass nicht immer genau dieselben Tiere sämtliche Auseinandersetzungen für sich gewinnen. Im Gegenteil: Heute geht man eher davon aus, dass es gewissermaßen eine Aufgabenteilung innerhalb der Gemeinschaft gibt, je nach persönlichen Charaktereigenschaften und Fähigkeiten der einzelnen Individuen. Da wird vielleicht ein bestimmtes Pferd bei vielen spielerischen Rangeleien als „Sieger“ hervorgehen. Es kann aber gleichzeitig sein, dass ein anderes Pferd die Gruppe in Gefahrensituationen anführt oder aber eine hohe Aufmerksamkeit an den Tag legt was ungewöhnliche Vorkommnisse angeht.

Die Rangordnung

 

Auch in einem Beziehungsgeflecht kennt jedes Pferd seinen Rang, seine Position innerhalb der Gruppe und seinen Status in Bezug auf die anderen. Dieser Rang ist jedoch nicht als absolute Position wie auf einer Leiter zu verstehen, bei der Hengst 1 ganz oben, Hengst 2 direkt unter ihm und Hengst 3 wiederum darunter usw. angesiedelt sind. Diese veraltete Vorstellung von einem Alpha-Tier ganz oben an der Spitze der Rangordnung und einem Omega-Tier ganz unten entspricht nicht dem Bild was wir auf der Hengstalm beobachten können.

Einbezug des sozialen Status

 

Möchte man die Beziehungen der einzelnen Tiere zueinander genau verstehen, so bietet es sich an nicht nur aggressive Auseinandersetzungen zu beobachten und zu analysieren, sondern ebenso freundschaftliche Kontakte mit einzubeziehen. Ein Pferd mit einem hohen sozialen Status ist eines welches von vielen anderen geschätzt wird. Es wird sich mit diversen unterschiedlichen Partnern gegenseitig das Fell kraulen und oft von anderen beim Grasen besucht werden. Im direkten Kontakt kann man dann jeweils die kleinen subtilen Verhaltensweisen beobachten, anhand derer die eigene Position in der Gruppe signalisiert werden. Es gibt dominante Verhaltensweisen, mit denen ein Pferd seine Stäke demonstriert und submissive Verhaltensweisen, also solche, mit denen ein Pferd in einer ganz bestimmten Situation die höhere Position des anderen anerkennt.

Es gibt keine dominanten Pferde

 

Es gibt so gesehen dominantes Verhalten, aber eben kein generell dominantes Pferd. Jedes Pferd zeigt also je nach Situation und Gegenüber mal dominante, mal submissive Verhaltensweisen. Zu den bei den Hengsten auf der Alm häufig zu beobachtenden dominanten Verhaltensweisen gehören Elemente des Imponierverhaltens wie das Aufwölben des Halses oder ein Aufstampfen mit dem Vorderhuf ebenso wie das gezielte Auflegen des Kopfes auf die Kruppe oder den Rücken des Gegenübers. In solchen Situationen muss gar nicht unbedingt eine aggressive Auseinandersetzung oder ein Spiel entstehen, es kann einfach beiläufig beim Grasen gezeigt werden. Submissives Verhalten kann bei Junghengsten das deutliche Fohlenkauen sein, bei dem der Jährling mit geöffneten Maul eine klappernde Bewegung der Kiefer zeigt. Auch das charakteristische Abwenden des Kopfes oder gar der gesamten Vorhand kann ein solches submissives Verhalten sein.

Dreiecksbeziehungen

 

Je länger man die Hengste beobachtet, desto offensichtlicher werden die differenzierten Beziehungen im Beziehungsgeflecht. Sehr häufig entstehen dabei Gruppenstrukturen, bei denen gar keine Rangordnung im engeren Sinne auszumachen ist, sondern sogenannte Dreiecksbeziehungen. Von einer Dreiecksbeziehung spricht man immer dann wenn Hengst A zwar dominantes Verhalten gegenüber Hengst B zeigt und Hengst B gegenüber Hengst C, Hengst C aber wiederum dominantes Verhalten gegenüber Hengst A zeigt. Je mehr Herdenmitglieder die Hengstgruppe umfasst, desto unübersichtlicher wird es für menschliche Beobachter*innen die tatsächliche Gruppenstruktur zu erfassen.

Genaue Beobachtungen für Rückschlüsse

 

Darüber hinaus ergeben sich sehr häufig Koalitionen. Einzelne Hengste halten sich besonders häufig in der Nähe von bestimmten anderen Tieren auf und agieren in deren Einflussbereich anders als sie auf sich allein gestellt agieren würden. So kann ein auf sich selbst gestellter Junghengst anderen gegenüber noch sehr unsicher wirken und häufig submissive Verhaltensweisen zeigen. Ist er aber in der direkten Nähe seines starken Kumpels, so kann dasselbe Tier plötzlich mutig dominante Verhaltensweisen zeigen, wenn es sich bei seinem besten Freund um ein von der gesamten Gruppe geachtetes Herdenmitglied handelt. So ist es auch beim Besuch auf der Sommeralm wichtig immer wieder zu registrieren, welcher Hengst wie häufig mit welchem anderen Hengst zu sehen ist und wie sich das jeweilige Verhalten mit und ohne die Gegenwart des anderen ändert.

Auch eine Altersfrage

 

In den meisten Regionen in Österreich werden Hengste unterschiedlicher Altersgruppen gemeinsam auf die Alm gebracht. Es ist sehr interessant die verschiedenen Verhaltensweisen der Tiere zu beobachten und diese in Bezug auf das Alter der Tiere zu differenzieren. Erwachsene Zuchthengste sind in ihrem gesamten Gehabe und in der Direktheit ihrer Verhaltensweisen ganz anders als Junghengste. Und da kann es auch auffällig unterschiedlich sein, wie weit etwa alle Zweijährigen in ihrem Verhalten doch auseinanderliegen. Einige sind bereits sehr weit entwickelt und sowohl körperlich als auch vom Verhalten her kaum von den Erwachsenen Hengsten zu unterscheiden, andere dagegen sind noch ähnlich fohlenhaft und unbedarft vom Verhalten her wie die meisten Einjährigen. Betrachtet man die Gruppenstruktur als Ganzes, so wird oft auffallen, dass die Jüngsten der Gruppe oft viele Freiheiten genießen, andererseits aber von den Erwachsenen nicht ganz für voll genommen werden und nicht als Bedrohung des eigenen Status angesehen werden. Sie bilden quasi eine verflochtene Untergruppe in der Junggesellengruppe.

Wichtig für die pferdische Entwicklung

 

Ein Pferdeleben lang lernt jedes Individuum aus seinen Erfahrungen, außergewöhnlichen Ereignissen und besonderen Erlebnissen. Dadurch entwickelt sich auch jedes Pferd über den Almsommer hinweg durchaus weiter. Es knüpft Freundschaften zu anderen, entwickelt seine Persönlichkeit weiter und bildet ganz eigene Charaktereigenschaften. Manche Pferde werden durch die „Naturerfahrung“ auf der Alm erwachsener und besonnener zurück in die heimatliche Herde kehren. Andere werden vielleicht Selbstbewusstsein aus dem freien Kontakt mit anderen schöpfen oder aber vorher vorhandenen Stress verarbeitet haben. Die Pferde entwickeln sich weiter, sie verändern nicht nur ihr Verhalten, sondern auch ihre Positionen innerhalb der Gruppe. Und diese Persönlichkeitsentwicklung ist es was die Beobachtung der Hengste auf der Sommeralm so spannend macht.

Unterschiedliche Ausdrucksformen

 

Ganz deutlich zeigen sich die unterschiedlichen Pferdepersönlichkeiten auf der Alm in der unterschiedlichen Ausdrucksform. Hier gibt es die Gelegenheit formal gleiche Verhaltensweisen von unterschiedlichen Individuen zu beobachten. Während eines beispielsweise vielleicht sehr exaltierte Bewegungen zeigt oder ein hohes, immer gleich ablaufendes Steigen zeigt, wird ein anderes ganz verschiedene Bewegungsmuster zeigen. Es wird deutlich, dass es Überlagerungszustände gibt. Dass vielleicht zwar eine Verhaltensweise wie Steigen von zwei Tieren in einer auf den ersten Blick ähnlichen Art und Weise gezeigt wird, das eine dabei aber einen stolzen oder aggressiven Gesichtsausdruck hat, ein anderes in dieser Situation ängstlich die Augen aufreißt.

Zusammenspiel von vielen Faktoren

 

Das Gesamtbild setzt sich immer aus dem Eindruck der einzelnen Körperpartien zusammen. Die Pferdesprache besteht aus dem Zusammenspiel von Mimik, Körperposition, Bewegungsmuster und Verhaltensweise. Da wir bei den Hengsten auf der Sommeralm eine Vielzahl an unterschiedlichen Verhaltensweisen betrachten und vergleichen können, werden schnell Nuancen deutlich und Abstufungen derselben Handlung sichtbar. Wer genau beobachtet wird dann lernen zu erkennen, ob eine Abwehrbewegung wirklich ernstgemeint ist oder nur angedeutet oder ob ein Spiel wirklich ein Spiel ist oder sich zu einer Auseinandersetzung entwickelt. All das ist wertvoll für das Verständnis der Beziehungen unserer Pferde daheim. Oftmals sind es die kleinen, subtilen Feinheiten, die eine ähnliche Verhaltensweise in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt und in einem Kontext einmal so und einmal so gezeigt wird. Wer die Hengste und ihr Verhalten verinnerlicht hat, der wird einen guten Eindruck in die Natur der Pferde erhalten haben.

Pferde sind schon faszinierende Geschöpfe, nicht wahr? Marlitt

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Marlitt Wendt

 

 

Ich bin Verhaltensbiologin und eine Pionierin auf dem Gebiet des Trainings mit positiver Verstärkung für Pferde. Das was zunächst als private Leidenschaft begann, ist seit fast 20 Jahren meine Berufung. Ich habe meinen Traum verwirklicht und durfte mein Wissen und meine Erfahrung als Autorin in vielen Sachbüchern und Fachartikeln veröffentlichen und als Dozentin auf Seminaren im gesamten deutschsprachigen Raum in der Praxis umsetzen. RPlus ist nun die Quintessenz meiner bisherigen Arbeit. Mit RPlus als Idee, positive Verstärkung in ihrer Gesamtheit darzustellen und den Grundgedanken des Gebens wirklich zu leben, veröffentliche ich hier lerntheoretische Inspirationen, meine eigenen Ausbildungskonzepte und persönliche Einblicke in meine Pferdewelt.

Conny Ranz

 

 

Ich bin Pferdefotografin und Grenzgängerin. Mit meiner Kamera bewege ich mich zwischen den Welten. Zwischen Tier und Mensch, zwischen Traum und Realität. Pferde ihrer Natur entsprechend in ihrer ganzen Persönlichkeit zu zeigen, begeistert mich damals wie heute. Dazu bin ich unter anderem europaweit auf den Spuren der Wildpferde unterwegs. Diese Begegnungen erwecken stets den Mut zur Freiheit in mir. Mit meinen Bildern durfte ich bereits an einigen Buchprojekten namhafter Verlage sowie in diversen Pferdemagazinen mitwirken. Vor allem aber verleihe ich damit unserem gemeinsamen Herzensprojekt RPlus aus vollster Überzeugung Flügel.

AUTHOR: Marlitt Wendt