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RPlus | Der Almauftrieb der Hengste
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Almsommer in Österreich

 

Vielerorts sind in Österreich nach wie vor Almsommer für Junghengste und zum Teil auch für erwachsene Zuchthengste vorgesehen. Einige Monate, in der Regel von Juni bis in den September hinein, können die Tiere je nach Höhenlage und Witterung ihr pures Pferdsein ziemlich unbeeinträchtigt vom Menschen ausleben. Vor allem die Rassen Haflinger und Noriker werden traditionell den Sommer über hinauf auf die Almen gebracht. Dort sollen sie ihre Härte und ihr angenehmes Sozialverhalten unter Beweis stellen sowie Gelenke und Muskulatur im unwegsamen Gelände kräftigen. Diese positiven Effekte für die Gesundheit der Tiere wird auch in Piber sehr geschätzt. Auch dort gehen Junghengste den Sommer über auf die Stubalm.

Interessante Verhaltensbeobachtungen möglich

 

Für uns Pferdeliebhaber*innen ist ein Besuch auf der Sommeralm der Hengste sehr interessant, da es dort viel zu entdecken und lernen gibt. Vor allem was das typische natürliche Hengstverhalten angeht, ihr Sozialverhalten und ihre Kommunikation. Darüber hinaus kann man quasi hautnah dabei sein, wenn sich eine Gruppenstruktur unter Pferden ausbildet. Grund genug um das Thema Sommeralm für Hengste einmal in diesem und in einem soäteren BigPlus-Beiträgen aus verhaltensbiologischer Sicht aufzugreifen. Und so eventuell auch Beobachtungsziele für einen eigenen Besuch bei den Pferden auf der Alm zu geben.

Der Almauftrieb

 

Da die Pferde nur die Sommermonate auf der Alm verbringen und den Winter wieder in ihren Heimatställen, gibt es je nach Höhe des Grasaufwuchs einen unterschiedlichen Termin für den traditionellen und bei Hengsten spektakulären Almauftrieb. Für gewöhnlich wird zum Beginn des Almsommers ein Areal sicher eingefriedet, damit die Tiere sich auf einem begrenzten Raum zum ersten Mal begegnen und die dabei anwesenden Besitzer*innen gegebenenfalls bei zu heftigen Streitigkeiten unter den Hengsten eingreifen können. So soll die Verletzungsgefahr minimiert werden. Dieses übersichtliche eingezäunte Stück Wiese ist zudem nicht so steil wie mancherorts auf den Almen, so dass die Hengste ihr Imponiergehabe und ihre Rangkämpfe in einigermaßen ebenen Terrain beginnen können und ihre Kräfte in Ruhe messen können. Denn dieses erste Aufeinandertreffen der Hengste hat es in sich.

Erstes Kennenlernen

 

Je nach Gebiet werden nur Junghengste, nur erwachsene Zuchthengste oder aber gemischte Gruppen zugelassen. Manche Tiere kehren jedes Jahr auf die Alm zurück und treffen dort auf ihnen bereits bekannte andere Pferde, einige verbringen nur einen einzigen Sommer auf der Alm. Die angereisten Hengste werden von ihren Besitzer*innen zunächst am Halfter in den eingezäunten Bereich geführt und erst dann auf ein verabredetes Signal hin gleichzeitig freigelassen. Die Hengste beginnen daraufhin aufgeregt direkt damit sich gegenseitig kennenzulernen, Kontakt aufzunehmen und starten teils spektakuläre Schaukämpfe. Verletzungen sind allerdings dennoch sehr selten, denn die Tiere kennen ihre Stärken und Schwächen gut und tragen ihre Auseinandersetzungen als ritualisierte Verhaltensweisen aus.

Jeder gegen jeden?

 

Was auf den ersten Blick etwas chaotisch und aggressiv erscheinen mag, kann auf den zweiten Blick besser eingeordnet werden, wenn man sich die typischen Kennenlern-Rituale unter Pferden vergegenwärtigt. Diese Rituale werden nämlich in einer teils abgeschwächten und weniger explizit ausgeführten Form auch bei jedem Stallwechsel bei unseren Freizeitpferden gezeigt. Unter dem Begriff ritualisiertes Verhalten fassen Biolog*innen Muster im Ausdrucksverhalten immer dann zusammen, wenn es deutlich standardisiert in einer immer ähnlichen Art und Weise und Abfolge ausgeführt wird.

Kommentkämpfe

 

Ritualisierte Verhaltensweisen haben so einen hohen Wiedererkennungswert für die einzelnen Kontrahenten. Sie können dadurch ihre eigene Verhaltensantwort auf das Verhalten ihres Gegenübers abstimmen und ihrem Kontrahenten Stärke und Kraft demonstrieren, ohne einem erhöhten Verletzungsrisiko ausgesetzt zu sein. Unter Hengsten nennt man solche Schaukämpfe auch Kommentkämpfe, also Auseinandersetzungen, die nicht dazu dienen den anderen zu verletzten oder gar nachhaltig zu schädigen, sondern in erster Linie darum sich selbst darzustellen und um eine gute Position innerhalb der Gruppe zu kämpfen.

Kontaktaufnahme in Kleinstgruppen

 

Und so treffen beim Almauftrieb die Hengste meist in Zweier- oder Dreierkonstellationen aufeinander. Sie nehmen nach und nach mit jedem anderen anwesenden Hengst Kontakt auf um jedes einzelne Tier in seinem Verhalten einschätzen zu können. Dabei kann man beim Almauftrieb einige ganz charakteristische Verhaltensweisen des Kennenlernrituals und den eigentlichen Kommentkampf unter Hengsten beobachten. Die Choreografie der Interaktionen der Hengste untereinander ist dabei genau festgelegt. Einen guten Überblick über das Stadium der jeweiligen Auseinandersetzung kann man erhalten, wenn man die vier typischen Phasen berücksichtigt, die zum Teil ineinander übergehen oder aus einer hohe Aufregung heraus auch übersprungen werden können:

Phase 1: Initialphase

 

Wer genau beobachtet, wird zunächst feststellen, dass einzelne Tiere sich über gegenseitiges Fixieren einen Kontakt bereits aus der Entfernung heraus aufnehmen. Sie suchen sich also zunächst jeweils einen Kontrahenten aus und kommunizieren mehr oder weniger subtil aus der Distanz heraus. Dabei geht es zum einen um Blickkontakt, zum anderen präsentieren sie ihre Fitness und Stärke über ihre Körperspannung und Körperhaltung. Unterstrichen werden kann dieses erste Präsentieren über ein Aufstampfen mit einem Vorderbein, ein Scharren mit dem Vorderbein oder aber das Aufstellen des Schweifes, Schweifschlagen und Aufwölben des Halses. Zum Teil wird diese Beobachtungsphase begleitet von lautem Kontaktrufen, dem typischen Wiehern von Hengsten unter sich. In der Initialphase gibt es also überhaupt keinen direkten Kontakt unter den beiden Kontrahenten. Interessanterweise belegen ethologische Studien, dass etwa die Hälfte aller ersten „Auseinandersetzungen“ bereits in dieser Phase beendet und entschieden wird. So sammeln auch beim Almauftrieb einige mögliche Zweierkonstellationen meist auch die nötigen Informationen rein durch diese Initialphase und checken sich gegenseitig nur aus der Entfernung heraus ab.

Phase 2: Charakteristische Folge standardisierter Verhaltensweisen

 

Um einen Kontrahenten näher kennenzulernen und gleichzeitig die eigene Stärke zu demonstrieren werden viele der zu beobachtenden möglichen Zweierkonstellationen nach der Initialphase in eine Phase der typischen visuellen Signale übergehen. Beide Hengste stimmen in dieser Phase ihre Bewegungen aufeinander ab und vollführen gewissermaßen eine Art Tanz miteinander. Es kommt also auch hier nicht zu direkten Berührungen oder gar zu Kampfhandlungen, sondern es wird lediglich aus der Distanz heraus Imponiergehabe gezeigt. Typisch sind in dieser Phase etwa der parallel vorgetragene Imponiertrab mit seiner exaltierten Trabbewegung und schwebenden Trabtritten, einem aufgewölbten Hals und hoher Körperspannung. Auch eine Schulhalt-ähnliche Position mit erhobenem Vorderbein und abgesenkter Kruppe kann in dieser Phase beobachtet werden, ebenso wie ein demonstratives Steigen. Kurzum, in dieser Phase versuchen die Hengste alles um sich so groß, kräftig, stolz und geschmeidig zu präsentieren wie möglich.

Phase 3: Direkte Geruchsaufnahme

 

In der folgenden dritten Phase kommt es dann zum unmittelbaren Kontakt der Kontrahenten. Dabei nehmen die Hengste untereinander intensiv den Geruch des anderen wahr, indem sie ihn an charakteristischen Körperteilen beriechen. Sie tauschen dabei ihre Duftnoten aus. Oft ist diese Phase gekennzeichnet von großer Aufregung und kann von quietschenden Lauten und von kurzen energischen oder nur angedeuteten Abwehrschlägen begleitet sein. Wer wen wie lange und an welchem Körperteil beschnüffeln darf, ohne dass es durch ein Aufstampfen mit dem Vorderbein oder gar einen Schlag quittiert wird verrät den geübten Beobachter*innen viel über die spätere Position innerhalb der Gruppe. Besonders wichtig in dieser Phase der direkten Geruchsaufnahme ist zum einen der sogenannte Naso-Nasalkontakt, bei dem der körpereigene Geruch des jeweils anderen direkt intensiv über das Schnuppern an den Nüstern aufgenommen wird. Meist wechseln sie dabei mehrfach das Nasenloch und blasen sich gegenseitig mit ihrem Atem an. Durch körpereigene Drüsen kann die Duftmarke des Hengstes an dieser Stelle besonders intensiv wahrgenommen werden. Zum anderen kommt es in dieser Phase unter den Hengsten zum sogenannten Naso-Genitalkontakt, bei dem ein Hengst einen anderen im Genitalbereich beschnuppert. Oft ist der Schlauch des Hengstes dabei ausgeschachtet. Vermutlich wird so auch der Hormonstatus des Gegenübers wahrgenommen.

Phase 4: Eigentlicher Kommentkampf

 

Erst in der vierten Phase des Kennenlernrituals kommt es zu direkten Auseinandersetzungen und Kampfhandlungen im eigentlichen Sinne. Das Verhaltensrepertoire umfasst dabei diverse charakteristische Verhaltensweisen, die alle sehr häufig beim Almauftrieb beobachtet werden können. So gibt es das gegenseitige Ansteigen ebenso wie das gegenseitige Umkreisen, das gegenseitige in die Vorderbeine beißen und in die Knie zwingen, Kapriolen und den klassischen Hinterhandschlag, der eine Auseinandersetzung meist beendet. Alle dargestellten Verhaltensweisen sind durchaus kräfteraubend. Auch aus diesem Grunde können die Hengste untereinander ihre Stärke sehr gut einschätzen. Je nach Fitness kommt der ein oder andere Hengst wesentlich schneller an seine körperlichen Grenzen als ein anderer und gibt sich eher geschlagen.

Kampf auf Augenhöhe

 

Nach und nach ergibt sich so aus dem Aufeinandertreffen der einzelnen Konstellationen heraus ein Bild welche Hengste kampferfahren, stark und fit sind, und welche sich eher direkt einordnen oder aber gar direkten Konflikten aus dem Weg gehen. Interessant ist beim Besuch des Almauftriebs auch die Tatsache, dass die Hengste offenbar auf den ersten Blick entscheiden können, wer ein mehr oder weniger ebenbürtiger Kontrahent ist. Es geht also nicht etwa ein erfahrener Althengst wahllos auf irgendeinen Jährling los, sondern jeder sucht sich einen Kontrahenten auf Augenhöhe. Denn nur unter etwa gleichstarken Tieren kommt es überhaupt zu einer Konkurrenz-Situation im Herdengefüge. Ein Blick eines Althengstes genügt also in der Regel, um ein unerfahrenes Jungpferd auf seinen Platz zu verweisen.

Erste Gruppenbildung

 

Das gröbste Spektakel ist beim Almauftrieb häufig bereits innerhalb der ersten Stunde beendet. Die Hengste haben sich ausgiebig gegenseitig beschnuppert und die wichtigsten Auseinandersetzungen ausgetragen. Wer sich Zeit nimmt die Phase dieser Kommentkämpfe abzuwarten, wird mit der Beobachtung eines beeindruckenden Phänomens belohnt. Denn bereits nach so kurzer Zeit beginnt die Hengste als Gruppe zu agieren. Es ändert sich also nun das gesamte Verhalten der Gruppe. Es kommt nach und nach nicht mehr zur Auseinandersetzung einzelner Tiere, sondern mehr und mehr beginnt die Gruppe sich geordnet in Bewegung zu setzen. Oft ist es also nicht so, dass einzelne Tiere verstoßen oder weggetrieben werden, sondern im Gegenteil ergibt sich eine Art vorläufiger Zusammenhalt. Die Hengste gehen scheinbar einträchtig miteinander auf Wanderschaft oder traben geordnet hintereinander her.

Basis für Gruppenstabilität

 

Diese erste Gruppenbildung ist wichtig um die spätere Stabilität der Herde zu gewährleisten. Die ganz genauen Positionen innerhalb des Beziehungsgeflechts der Herde wird dann erst in den folgenden Tagen und Wochen ausgetragen. Es werden Freundschaften und Koalitionen geknüpft und subtil versucht den eigenen Rang zu verbessern. Erst ganz sukzessive lernen sich die einzelnen Charaktere untereinander gut genug kennen um sich gegenseitig zu unterstützen und aus der Gemeinschaft der Herde heraus zu interagieren und so gemeinsam die besten Weideplätze zu entdecken, Schutz vor Regen und Sturm zu suchen oder sich gegenseitig bei der Insektenabwehr zu unterstützen. Und genau darum wird es in den nächsten beiden Folgen der Reihe zum Hengstverhalten auf der Sommeralm gehen: Um das Beziehungsgeflecht innerhalb der Herde und um die subtile Kommunikation untereinander.

Bis zum nächsten Mal, Marlitt

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Marlitt Wendt

 

 

Ich bin Verhaltensbiologin und eine Pionierin auf dem Gebiet des Trainings mit positiver Verstärkung für Pferde. Das was zunächst als private Leidenschaft begann, ist seit fast 20 Jahren meine Berufung. Ich habe meinen Traum verwirklicht und durfte mein Wissen und meine Erfahrung als Autorin in vielen Sachbüchern und Fachartikeln veröffentlichen und als Dozentin auf Seminaren im gesamten deutschsprachigen Raum in der Praxis umsetzen. RPlus ist nun die Quintessenz meiner bisherigen Arbeit. Mit RPlus als Idee, positive Verstärkung in ihrer Gesamtheit darzustellen und den Grundgedanken des Gebens wirklich zu leben, veröffentliche ich hier lerntheoretische Inspirationen, meine eigenen Ausbildungskonzepte und persönliche Einblicke in meine Pferdewelt.

Conny Ranz

 

 

Ich bin Pferdefotografin und Grenzgängerin. Mit meiner Kamera bewege ich mich zwischen den Welten. Zwischen Tier und Mensch, zwischen Traum und Realität. Pferde ihrer Natur entsprechend in ihrer ganzen Persönlichkeit zu zeigen, begeistert mich damals wie heute. Dazu bin ich unter anderem europaweit auf den Spuren der Wildpferde unterwegs. Diese Begegnungen erwecken stets den Mut zur Freiheit in mir. Mit meinen Bildern durfte ich bereits an einigen Buchprojekten namhafter Verlage sowie in diversen Pferdemagazinen mitwirken. Vor allem aber verleihe ich damit unserem gemeinsamen Herzensprojekt RPlus aus vollster Überzeugung Flügel.

AUTHOR: Marlitt Wendt