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RPlus | Der typische Haflinger?
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Charaktereigenschaften mal verhaltensbiologisch betrachtet

 

Für den/die einen sind Haflinger stur, verfressen oder faul, für uns Liebhaber dieser faszinierenden Rasse sind sie einfach die tollsten Pferde überhaupt. Klug, leistungsbereit, langlebig und mit einer stabilen Gesundheit gesegnet. Kann man eigentlich überhaupt bestimmte Charaktereigenschaften verallgemeinern und sämtlichen Rassevertretern gleichermaßen zuschreiben? Und welche Begriffe deuten mehr auf die Beurteilung und Interpretation der Menschen hin und orientieren sich damit auch an den eigenen Vorurteilen und am inneren Weltbild?

Auch eine Frage der Genetik

 

Zum einen gibt es natürlich eine Zuchtauswahl über die nicht nur körperliche Merkmale wie ein gesundes Fundament oder auch die bevorzugte Farbe beeinflusst werden kann, sondern auch die grundsätzlichen Tendenzen im Verhalten. Ein Haflinger ist als vielseitiges, mittelgroßes Pferd eben eher ein Allrounder und nicht mit einer Spezialrasse wie dem Belgischen Kaltblut oder dem Englischen Vollblut zu vergleichen, die jeweils eher für eine ganz bestimmte Paradedisziplin gezüchtet werden. Bei diesen Rassen steht daher auch ganz bestimmte sehr eng definierte Eigenschaften im Verhalten im Vordergrund, etwa ihr bestimmtes Maß an Erregbarkeit oder aber ihr Grad an Reaktivität. Ein Rennpferd beispielsweise sollte leicht erregbar sein und auf jeden kleinsten Reiz direkt und deutlich reagieren, während ein schweres Zugpferd eher bedächtig auf Außenreize reagieren soll. Der Haflinger liegt in seinem Verhalten also grob gesagt irgendwo dazwischen und wird je nach Blutlinie auch ganz unterschiedliche Eigenschaften verstärkt zeigen.

Abstecher in die Verhaltensbiologie

 

Zum anderen gibt es viele Missverständnisse mit häufig zu beobachtenden Verhaltensweisen. Denn das was für den ungeübten Betrachter vielleicht als stur wahrgenommen wird, kann aus verhaltensbiologischer Sicht als Verhalten ganz anderer Ursache betrachtet werden. Jedes gezeigte Verhalten hat aus Pferdesicht seinen Sinn. Kein Pferd verhält sich berechnend oder um dem Menschen bewusst zu schaden. Pferdeverhalten ist immer Spiegel des jeweiligen Individuums, seiner Erfahrungen und Vorlieben ebenso wie seiner Abneigungen und Ängste. Außerdem wird das Verhalten eines Pferdes direkt in jeder Situation gesteuert. Das, was es als angenehm empfindet, wird es in der Folge häufiger zeigen. Das, was es als limitierend oder negativ empfindet, das wird es in Zukunft vermeiden und seltener zeigen. So gesehen ist viele ggf. für uns Menschen als störend angesehene Verhaltensweisen schlicht und einfach erlernt. Und da unser Haflinger von Natur aus ein sehr intelligentes Pferd ist, so kann es geschehen, dass auch Eigenschaften erlernt werden, die wir uns als Besitzer eventuell anders vorgestellt haben.

Stichwort Verfressen

 

Das erste Klischee das vielen bei der Rasse Haflinger einfällt, ist der Hang zum Futter. Übergewicht kann eine Folge davon sein, denn der Haflinger ist positiv gesehen in der Regel ein guter Futterverwerter. Mit seinen markant ausgebildeten Zähnen und seinem kräftigen Kiefer ist er darauf vorbereitet Futter optimal zu zerkleinern. Dadurch können die wertvollen Nährstoffe gut im Verdauungstrakt aufgenommen werden.

Clever und smart

 

Negativ betrachtet ist es häufig ein Haflinger in der Gruppe, der buchstäblich jede Lücke im System findet um an Futter zu gelangen. Der testet ob genügend Strom auf dem Zaun ist, die Tür zur Futterkammer öffnen kann oder aber in einmaliger Eleganz unter dem Zaun hindurch grast. Hier zeigt sich, was ein Aspekt ist, der die sprichwörtliche Klugheit des Haflingers begründet. Haflinger sind oft sehr neugierig und aktiv. Sie erkunden ihre Umgebung und sind dabei natürlich auch permanent auf der Suche nach Futter. Nahrung und da besonders wohlschmeckende Futterbestandteile sind verhaltensbiologisch betrachtet sogenannte primäre Verstärker. Ein primärer Verstärker ist vereinfacht gesagt ein angeborener Verhaltensmodelleur, etwas was ein Pferd nicht erst erlernen muss, sondern sein Verhalten steuert. Wie schon erwähnt steuert ein als positiv erachteter Verstärker das Verhalten insofern, dass das Pferd sein Verhalten wiederholt, verfeinert und ausdauernder anwendet, um wieder und wieder das ersehnte Ergebnis zu erhalten. Das frische Gründe Gras auf der anderen Zaunseite kann so eine unwiderstehliche Anziehungskraft darstellen. Jedes Mal, wenn der Haflinger nun bemerkt, dass ein kleiner Schlag vom Elektrozaum gar nicht so schlimm ist oder gar bemerkt, dass der unterste Draht eh keinen Strom führt, wird der Belohnungseffekt des Grases dazu führen, dass er immer wieder Versuche starten wird auf die andere Seite des Zaunes zu gelangen. So wird vielleicht aus dem Grasen unter dem Zaun ein Versuch des Darübersteigens oder ein eleganter Sprung über den Zaun. Der Haflinger lernt mit Futter extrem schnell und das kann man sich zunutze machen, wenn man denn die bestimmte Regeln einhält.

Stichwort: Leckerlibelohnung

 

Wer einmal festgestellt hat wie leicht ein typischer Haflinger über Futter zu motivieren ist und wie viele Ideen er in seinem Umfeld entwickelt um an Futter zu gelangen, der kann entsprechend auf den Gedanken kommen Futterbelohnungen auch gezielt einzusetzen um das Verhalten des Haflingers zu lenken. Für Futter wird er so manchen Trick sehr schnell lernen, von Faulheit ist da keine Spur mehr. Der typische Haflinger möchte anscheinend gewissermaßen wissen, warum er etwas tun soll. Er erscheint vielen Menschen faul oder unmotiviert, wenn er eine Aufgabe nicht versteht, sie ihm nicht sinnvoll erscheint oder ihm keine Freude bereitet. Futterbelohnungen können nun auch unliebsame Aufgaben aus Haflingersicht aufwerten.

Höflichkeit kann man trainieren

 

Ein Leckerli im richtigen Moment fördert also eine bestimmte erwünschte Verhaltensweise. Dabei ist es ganz wichtig, dass unser Pferd natürlich zunächst lernt, dass Leckerlibelohnungen von seiner Mitarbeit abhängig sind. Er sich das Futter also durch korrektes Verhalten verdienen kann. Dazu ist es sinnvoll auch Regeln gemeinsam mit dem Pferd zu erarbeiten wie etwa die Grundregel, dass es keine Selbstbedienung für gierige Haflingermäuler gibt, sondern Leckerlis nur auf höfliches Verhalten folgen. Der Mensch bleibt also bei der Arbeit mit Futterlob die Leckerli-Verwaltung. Unser vierbeiniger Partner wird aufgrund seiner Cleverness schnell verstehen, dass Futter als Feedback fungiert und für aus unserer Sicht gelungene Aktionen vergeben wird. Wird dabei auch noch kleinschrittig gearbeitet, so kann das Pferd schnell ganze Bewegungsabfolgen verstehen und wird so motiviert mitmachen.

Stichwort: Sturheit

 

Die Begriffe „stur“ oder „dickköpfig“ keine verhaltensbiologischen Fachbegriffe sind, sondern Begriffe mit denen der Mensch das Pferdeverhalten interpretiert. In diesem Falle wird übersehen, dass schon die Wahl dieser Begrifflichkeiten die Schuld des Pferdes impliziert. Wer so über ein Pferd spricht, hat die Erklärung für sämtliches vermeintliches Fehlverhalten gleich mitgeliefert – das Pferd macht aus dieser Sicht die Fehler, der Mensch muss sein Verhalten nicht ändern. Das ist so natürlich großer Unsinn. „Sture“ Pferde verhalten sich nicht so, wie der Mensch es sich wünscht – sie reagieren entweder verzögert oder gar nicht auf Anfragen, entziehen sich Reiterhilfen oder stellen die Mitarbeit ein. Für mich ist es deswegen ein so essentiell wichtiges Thema, weil hier eine eklatante Fehleinschätzung des Pferdeverhaltens vorliegt und eine komplette Verkennung der eigentlichen Ursachen wie Schmerzen, Stress, Überforderung oder Trainingsfehler des Menschen.

Häufige Problemfelder

 

Die häufigsten Fehler der Menschen sind das Nichterkennen oder zu späte Erkennen von Stress-Anzeichen, Überforderung des Pferdes im Training, Konzentrationsmangel des Menschen, Arbeit mit demotivierenden Trainingsmethoden, Einsatz von aversiv wirkenden Hilfsmitteln wie Hilfszügeln oder Sporen und mangelnde Kommunikation mit dem Pferd. Insbesondere wenn der Mensch sich mal so mal so verhält, kann das Pferd sein Gegenüber nicht einschätzen und wird entsprechend irritiert reagieren. Der größte Fehler ist es, wenn ein Pferd sowieso schon gestresst reagiert und der Mensch dann auch noch den Druck erhöht.

Stresstypen beachten

 

Stress wird bei Pferden unterschiedlich ausgedrückt, pauschal kann man Pferde meist in zwei Stresstypen einteilen, die extrovertierten und die introvertierten Stresstypen. Unter Haflingern findet man durchaus beide Varianten. Extrovertierte Pferde zeigen ihren Unwillen, ihre Überforderung, ihren Stress schon sehr schnell deutlich nach außen hin. Sie werden etwa versuchen, den Galoppwechsel vorwegzunehmen, gehen durch oder legen sich auf den Zügel, werden bei der Handarbeit eiliger, schlagen mit dem Schweif oder schnappen und treten nach dem Menschen. Auch Steigen kann in solchen Situationen eine Stress-Reaktion eines extrovertierten Pferdes sein. Introvertierte Pferde werden unter Stress passiv, sie galoppieren vielleicht nur noch schwerfällig an oder überhaupt nicht mehr, springen den Galoppwechsel nicht durch oder schleichen bei der Handarbeit neben dem Menschen her. Entscheidend verändert sich der gesamte Ausdruck des gestressten, introvertierten Pferdes: Es zieht sich in sein Schneckenhaus zurück, richtet den Blick nach innen, verlangsamt seine Atmung und hat einen schlafferen Muskeltonus.

Wichtig zu wissen:

 

Nur weil der eine Haflinger im Vergleich zu einem anderen seinen Stress weniger deutlich für den Laien nach außen trägt, hat es nicht weniger Stress. Es ist sehr leicht diese Pferde zu überfordern, da ihr Stress oft unerkannt bleibt. Vermeintliche Sturheit ist also immer auch ein Warnsignal an uns Menschen, dass sich unser Pferd nicht wohlfühlt. Eine häufige Ursache von widersetzlichen Verhalten sind zudem Schmerzen. Gerade chronische Schmerzen werden häufig übersehen, das Pferd in der Folge überfordert. Irgendwann beginnt sich das Tier zu wehren und zeigt unerwünschte Verhaltensweisen, wie Schnappen, bocken oder steigen.

Verhalten analysieren

 

Was immer eine schöne Möglichkeit ist das eigene Pferd zu verstehen: Beobachten ohne zu werten. Wer erst einmal vorurteilsfrei die unterschiedlichen Handlungen seines Pferdes zu beobachten, der wird nicht nur vorschnell als negativ abgestempelte Verhaltensweisen entdecken, sondern vor allem eine große Vielfalt an Handlungen. Erst nach der reinen Beobachtungsphase bietet es sich an das gezeigte Verhalten zu analysieren und nach möglichen Ursachen zu forschen. Meist sind die Gründe verschiedener Verhaltensweisen von vielen Faktoren gleichzeitig abhängig. Und das was zunächst als Makel erscheint, ist eventuelle eine große Stärke des jeweiligen Individuums.

Der Artikel ist auch im Magazin „Haflinger aktuell“ erschienen, ich wollte euch aber dieses auf letztlich viele Rassen übertragbare Thema nicht vorenthalten, liebe Grüße, Marlitt

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Marlitt Wendt

 

 

Ich bin Verhaltensbiologin und eine Pionierin auf dem Gebiet des Trainings mit positiver Verstärkung für Pferde. Das was zunächst als private Leidenschaft begann, ist seit fast 20 Jahren meine Berufung. Ich habe meinen Traum verwirklicht und durfte mein Wissen und meine Erfahrung als Autorin in vielen Sachbüchern und Fachartikeln veröffentlichen und als Dozentin auf Seminaren im gesamten deutschsprachigen Raum in der Praxis umsetzen. RPlus ist nun die Quintessenz meiner bisherigen Arbeit. Mit RPlus als Idee, positive Verstärkung in ihrer Gesamtheit darzustellen und den Grundgedanken des Gebens wirklich zu leben, veröffentliche ich hier lerntheoretische Inspirationen, meine eigenen Ausbildungskonzepte und persönliche Einblicke in meine Pferdewelt.

AUTHOR: Marlitt Wendt