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RPlus | Jedes Pferd ein Unikat
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Strahlende Augen oder Narben auf der Pferdeseele?

 

Jedes einzelne Pferd ist ein Individuum, es ist die Summe seiner Erfahrungen und Erlebnisse, seiner Gefühle und Talente ebenso wie seiner Schmerzen und Leiden. Für mich als Verhaltensbiologin ist es spannend die Persönlichkeit des jeweiligen Gegenübers Pferd zu studieren und verborgene Details zu entdecken. Gerade die Unterschiede zwischen den einzelnen Pferden sind es die so faszinierend sind, sie sind es aber auch die dann eine große Herausforderung bedeuten, wenn etwas einmal nicht so läuft wie der*die Pferdebesitzer*in es sich vorgestellt hat. Gerade die Narben auf der Pferdeseele führen mich so gemeinsam mit dem*der Pferdebesitzer*in immer wieder zum Umdenken. Um diese besonderen Pferde und ihre Geschichten soll es im Folgenden gehen.

Herausforderung eins: Passiver Stresstyp

 

Die passiven Stresstypen unter den Pferden ticken ein wenig anders als die meisten Pferde der bei uns üblichen, häufigen Pferderassen. Während der klassische aktive Stresstyp auf eine beunruhigend empfundene Situation mit der typischen Unruhe der Bewegungen, Herumtänzeln und erhöhter Körperspannung und Aufmerksamkeit reagiert, wird der passive Stresstyp bei Stress zunächst immer ruhiger. Diese Ruhe ist aber eben keine tatsächliche entspannte Gelassenheit, sondern ein anderer Mechanismus mit Stress umzugehen. Pferde diesen Typs frieren quasi innerlich ein, sie kapseln sich gewissermaßen von der Außenwelt ab und lassen die äußeren Einwirkungen zunächst regungslos mit sehr gedämpfter Mimik und Körpersprache über sich ergehen. Innerlich hochgestresst neigen sie jedoch dazu sich zunächst in sich selbst zurückzuziehen und lange Zeit Stress einzustecken und scheinbar zu kompensieren. Irgendwann einmal reicht dann aber eine Kleinigkeit, um den innerlich brodelnden Stress-Vulkan zum Ausbruch zu bringen.

Latent vorhandener Stress

 

So kann es geschehen, dass das scheinbar so brave, aber tatsächlich hochgestresste Schulpony urplötzlich auf ein herunterfallendes Taschentuch völlig kopflos durchgeht und direkt in einen Zaun hineinrennt. Oder der sonst so brave, aber tatsächlich introvertierte und unterdrückte Kaltblüter plötzlich beim Hufschmied gezielt nach dem Menschen zu treten beginnt. Für mich sind in meiner Arbeit gar nicht diese besonderen Pferdetypen die Herausforderung, denn ich kenne diese Reaktionen sehr gut. Herausforderung für mich ist es den Menschen deutlich zu machen, dass so viele scheinbar relaxte, gutmütige Pferde eben nicht ruhig und immer zuverlässig sind, sondern genauso Stress empfinden wie alle anderen Pferde auch, sie diesen nur anders äußern. Es ist nicht immer ganz einfach den Laien die Augen zu öffnen für die feinen Details der Stressmimik und eine Herausforderung dabei Verständnis zu wecken für die Bedürfnisse dieser Pferde. Sie brauchen Zeit sich an Situationen zu gewöhnen, sie reagieren auf Druck mit immer mehr Rückzug, sind oft hochsensibel und verfügen über eine oft nur sehr geringe Stress-Toleranz.

Herausforderung zwei: Depressionen und erlernte Hilflosigkeit

 

Als Verhaltensexpertin werde ich oft erst dann gerufen wenn das Kind schon lange in den Brunnen gefallen ist. So ist dann eine riesige Herausforderung ein in erlernter Hilflosigkeit oder gar in Depressionen versunkenes Pferd langsam wieder hervorzulocken und wieder zu einem stolzen, aktiv am Geschehen teilnehmenden Individuum zu verhelfen. Viel zu viele Pferde erleben in ihrem Alltag so viel Stress, ungünstige Lebensbedingungen und Überforderung, dass diese Schutzmechanismen ergriffen werden. Die erlernte Hilflosigkeit führt dazu, dass ein Pferd, welches oft genug gemaßregelt und für aktives Verhalten gestraft wurde immer passiver wird und letztlich lernt, dass es nichts erreichen kann, egal was es probiert. Dies führt zu einer totalen Passivität und Handlungsunfähigkeit und in weiterer Folge zu großem emotionalen Leid und ggf. zu depressiven Verstimmungen.

Resignierte Pferde

 

Die Pferdeseele leidet unter dem harten Umgang, der vielerorts ganz routinemäßig betrieben wird. Irgendwann ist bei all diesen Pferden das Feuer, das Leuchten in den Augen gänzlich erloschen, um überhaupt wieder einen Funken Lebensfreude zu entfachen, wird dann eine Mammutaufgabe. Ich nehme diese Herausforderung immer sehr gerne an, denn es geht darum, solche Pferd Schrittchen für Schrittchen zurück ins Leben zu holen. Lebensfreude entsteht durch Freude, durch liebevolle Berührungen, viele Belohnungen, Anreize durch Futter und durch günstige Lebensumstände. Die betroffenen Pferde haben mir in den vielen Jahren meiner Tätigkeit auch vielfach zum Umdenken und genauerem Hinschauen verholfen.

Zurück ins Leben

 

Was bei einem gesunden, normalen Pferd funktioniert, kann bei einem psychisch instabilen oder gar depressiven Pferd völlig ausgeschlossen sein. Da kann es sinnvoll sein, noch viel großzügiger mit Belohnungen umzugehen als ohnehin schon. Ich erinnere mich an eine Stute, die bei der Erstkonditionierung auf den Clicker nicht im entferntesten auf den Gedanken kam, das angebotene Target zu berühren. Viel zu gefangen in der erlernten Hilflosigkeit scheute sie eine von sich selbst ausgehende Bewegung. Hier war es nötig schon die Augenbewegungen, den Blick zum Target zu belohnen, dann ein leichtes Hinwenden des Kopfes oder später eine zaghafte Berührung mit den Lippen. Jede leichte Bewegung des Menschen wurde von ihr als Zurechtweisung interpretiert und katapultierte sie sofort zurück in ihre Starre. Dieses Ereignis ist inzwischen fast 20 Jahre her, es hat mir verdeutlicht, dass es sehr viele Pferde gibt, die Bestätigung und Zuspruch einfach für ihr pures Dasein und jede kleinste Eigeninitiative benötigen. Nur so kann auch aus diesen Pferden wieder stolze, starke Persönlichkeiten erwachsen.

Herausforderung drei: Pferde, an denen schon viele herumprobiert haben

 

Leider sind es gerade die besonderen Pferde, an denen sich sicher auch in guter Absicht viele Profis probieren und letztlich auch teilweise profilieren wollen. Nur zu oft geht es dann nicht mehr um das Pferd und seine Bedürfnisse, sondern um das Ego des*der Trainer*in oder Besitzer*in. Da soll der notorische Steiger „korrigiert“ werden und über aberwitzige Konstruktionen werden Pferde ruhiggestellt und an den*die Reiter*in „gewöhnt“. Diese Pferde gehen oft durch viele verschiedene Hände und mit jedem Wechsel entsteht ein weiteres Problemfeld. Meist haben die Pferde durch die vielen negativen Erfahrungen und ungünstigen Situationen eigene Strategien manifestiert, die wiederum für den Menschen oft genug sehr gefährlich sein können.

180°-Wendung im Umgang und Training

 

Gerade wenn die Problemfelder sich nicht „nur“ auf das Reiten beschränken, sondern den gesamten Umgang überschatten, ist guter Rat teuer. Die Herausforderung ist dann, die Erarbeitung von überhaupt gangbaren Wegen und Lösungsmöglichkeiten, bei denen weder Mensch noch Tier gefährdet werden. So habe ich in der Vergangenheit durchaus die Erfahrung gemacht, dass weniger oft mehr ist und Zeitdruck völlig fehl am Platze ist. Besitzer*innen und Trainer*innen müssen dann komplett umdenken um alte Verhaltensmuster zu durchbrechen, neue Ausbildungswege zu gehen und Stress zu vermeiden. Vielen Pferden tut es da gut, wenn komplett umgedacht wird und beispielsweise mit völlig neuer Ausrüstung und Ausbildungsmethode von vorne begonnen wird und quasi wie beim Jungpferd die Ausbildung noch einmal von Beginn an mit viel Lob und Erfolgserlebnisse vollzogen wird. Erst wenn man den Wechsel gewagt hat, weiß man was jahrelang gefehlt hat.

Herausforderung vier: Mischen von Ausbildungsmethoden

 

Eine für mich große Herausforderung ist überhaupt der Wechsel zur positiven Verstärkung in der Ausbildung. Als Trainerin möchte ich diese Art der Pferdeausbildung verbreiten und möglichst vielen Pferd-Mensch-Teams einen Zugang dazu verschaffen. Es ist aber leider ein langwieriger Prozess von traditionellen Wegen abzuweichen und sich neuen Methoden zu öffnen. Daneben bedarf es viel Übung und lerntheoretischem Fachwissen, um eine neue Ausbildungsform überhaupt korrekt und pferdegerecht anwenden zu können. Daher kommt es auf dem Weg zur positiven Verstärkung im Pferdetraining zum Mischen der unterschiedlichsten Methoden. Dabei wenden die Besitzer*innen oft bunt zusammengewürfelte Ausbildungsformen parallel an, die sich allerdings teilweise gegenseitig hemmen und behindern. Viele Pferde sind dadurch verwirrt und reagieren in der Übergangsphase überhaupt nicht mehr auf eigentlich bereits gelernte Signale.

Freiwilligkeit zulassen können

 

Aus meiner Sicht ist es daher eine große Herausforderung, den*die Besitzer*in zum Umdenken einzuladen und ihm*ihr die ständig stattfinden Lernmechanismen und was das Pferd dabei empfindet, bewusst zu machen. Nur so kann eine gemeinsame Basis der Interaktion entstehen. Ich erinnere mich dabei an einen Fall, bei dem der Wechsel von hauptsächlich negativer Verstärkung zu positiver Verstärkung zunächst dazu führte, dass das Pferd überhaupt nicht mehr bereit war dem Besitzer zu folgen. Es entzog sich völlig in Passivität. Der Lernprozess für den Besitzer war es zu akzeptieren, dass letztlich alles was er vor dem Wechsel mit seinem Pferd gemacht hat, nur auf Druck basierte und das Pferd freiwillig eben gar keinen Kontakt zum Menschen wünschte. Hier musste sich das Vertrauen erst wieder langwierig erarbeitet und die Motivation für ein neues positives Miteinander entfacht werden.

Herausforderung fünf: Extreme Pferdetypen passen häufig nur zu bestimmten Personen

 

So schön es auch ist, dass immer mehr unterschiedliche Pferderassen aus allen Teilen der Welt in Deutschland zu finden sind, es ist für mich als Profitrainer*in eine Herausforderung die Menschen mit ihrer Wahl für ein bestimmtes Tier zu begleiten. Oft genug werden Pferde nämlich nach Schönheit ausgewählt oder bestimmten Modetrends nachgeeifert. Da wurde dann in den 1990er Jahre oft genug der bildhübsche zarte Vollblutaraber angeschafft, während 10 Jahre später der puschelige Tinker voll im Trend lag. Auch gibt es immer viele Menschen, die einen Faible für die riesigen kräftigen Kaltblüter haben oder aber oft die eleganten schnellen englischen Vollblüter.

Bereit zum Einlassen auf Exoten?

 

Gegen unterschiedliche Geschmäcker ist bei echtem Interesse und Liebe zu den Tieren natürlich nichts zu sagen. Es ist allerdings immer dann eine Herausforderung, wenn dem*der Besitzer*in nicht bewusst ist, dass extreme Rassen meist auch vom Wesen her anders sind als das gewohnte durchschnittliche deutsche Warmblut. Ein englischer Vollblüter ist eben als Rennpferd gezüchtet und auf Reaktivität und Schnelligkeit selektiert und stellt den*die Besitzer*in vor andere Herausforderungen als der für die Schrittarbeit vor dem Wagen gezüchtete Kaltblüter. Nur wer als Mensch bereit ist umzudenken und sich auf den Charakter des Individuums, der auch immer Charaktermerkmale des Rassetyps beinhaltet einlässt, wird mit diesen für uns ungewöhnlichen Pferdetypen glücklich. So niedlich Shettys sind oder so imposant Shire Horses uns beeindrucken, beide sind sowohl was die speziellen Haltungsbedingungen erfordern, als auch was den Umgang angeht häufig eine größere Herausforderung als landläufig vermutet wird. Für mich ist es daher wichtig, unvoreingenommen zu beobachten, wie sich das Tier typischerweise verhält und ob seine Charaktereigenschaften wirklich zum Gegenüber Mensch passen.

Herausforderung sechs: Der unberechenbare Faktor Mensch

 

Die letztlich größte Herausforderung für mich als Verhaltens-Profi sind nicht die Pferde, sondern deren Menschen. Die Menschen sind es ja, die an ihren eingefahrenen Vorstellungen festhalten, die nur bedingt lernbereit sind und sich oft nur schlecht auf Neues einlassen können. Es gilt für mich zum einen zu informieren und Pferdemimik und Körpersprache, Lernverhalten und Sinnesphysiologie der Pferde ebenso näherzubringen wie das Wissen um die praktische Anwendung wissenschaftlich belegbarer und sanfter Ausbildungsmethoden. Viele Besitzer*innen sehen dabei zunächst nur „das Problem“ und auf der anderen Seite „das Ziel“, sie wollen möglichst schnell und direkt eine „Reparaturmaßnahme“vornehmen und dann ihre eigenen Träume und Ideen umsetzen.

Pferde zum Strahlen bringen

 

Damit überhaupt ein Miteinader entstehen kann sind viele kleine Schritte nötig. Daneben muss man bedenken, dass jegliche Problemfelder von sogenannten schwierigen Pferden sehr vielschichtig sind und zusätzlich dicht mit dem Faktor Mensch verwoben sind. „Mal eben schnell“ gemachte Lösungen können da nur lückenhaftes Flickwerk sein und nicht zum Kern der Situation vordringen. Ich vergleiche die Arbeit mit schwierigen Pferden gerne mit den Fähigkeiten als Handwerker*in: Klar, ist das Dachfenster auch erst mal dicht, wenn man es mit Silikon zuschmiert, sinnvoller wäre es aber ein passenden Rahmen zu besorgen und es fachmännisch einfassen zu lassen. Es ist halt immer die Frage wem die Ausbildung des Pferdes wirklich etwas nützt: Bringt sie das Pferd mit seiner einzigartigen Persönlichkeit zum Leuchten und Strahlen oder ist sie reines Flickwerk im Sinne des Menschen? Für uns sollte doch immer das Glück und die Zufriedenheit des Pferdes die höchste Priorität haben.

Das wars erst mal aus der Perspektive einer Pferdetrainerin, Marlitt

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Marlitt Wendt

 

 

Ich bin Verhaltensbiologin und eine Pionierin auf dem Gebiet des Trainings mit positiver Verstärkung für Pferde. Das was zunächst als private Leidenschaft begann, ist seit fast 20 Jahren meine Berufung. Ich habe meinen Traum verwirklicht und durfte mein Wissen und meine Erfahrung als Autorin in vielen Sachbüchern und Fachartikeln veröffentlichen und als Dozentin auf Seminaren im gesamten deutschsprachigen Raum in der Praxis umsetzen. RPlus ist nun die Quintessenz meiner bisherigen Arbeit. Mit RPlus als Idee, positive Verstärkung in ihrer Gesamtheit darzustellen und den Grundgedanken des Gebens wirklich zu leben, veröffentliche ich hier lerntheoretische Inspirationen, meine eigenen Ausbildungskonzepte und persönliche Einblicke in meine Pferdewelt.

Conny Ranz

 

 

Ich bin Pferdefotografin und Grenzgängerin. Mit meiner Kamera bewege ich mich zwischen den Welten. Zwischen Tier und Mensch, zwischen Traum und Realität. Pferde ihrer Natur entsprechend in ihrer ganzen Persönlichkeit zu zeigen, begeistert mich damals wie heute. Dazu bin ich unter anderem europaweit auf den Spuren der Wildpferde unterwegs. Diese Begegnungen erwecken stets den Mut zur Freiheit in mir. Mit meinen Bildern durfte ich bereits an einigen Buchprojekten namhafter Verlage sowie in diversen Pferdemagazinen mitwirken. Vor allem aber verleihe ich damit unserem gemeinsamen Herzensprojekt RPlus aus vollster Überzeugung Flügel.

AUTHOR: Marlitt Wendt