Klassische Konditionierung bei Pferden
Futterlob ohne Stress
Möchten wir im Clickertraining trotz des heißbegehrten Futters stressarm arbeiten, so ist es wichtig, dass unser Pferd jeden einzelnen Aspekt des Trainings zuerst isoliert kennenlernt. Ich möchte, dass ein Pferd auf den Click mit einer ruhigen Aufmerksamkeit reagiert, dass es dieses Geräusch als positive Rückmeldung versteht, weil es genau in diesem Moment etwas richtig gemacht hat. Nur so kann es den Click als Feedback seiner eigenen Handlungen einschätzen. Ich möchte aber auch dass vornehmlich die Verknüpfung „Click + Futter“ stark verinnerlicht wird, ohne dass immer zwangsläufig eine Handbewegung des Menschen mit involviert sein muss. Die Fütterung aus der Hand birgt sehr viele Fehlerquellen, wenn man beispielsweise zu hektisch, am ungünstigen Ort oder mit schlechtem Timing füttert. Daher ist es mir wichtig, diese Fehlerquelle Mensch im Konditionierungsprozess möglichst auszuschließen. Dazu bieten sich Übungen an, bei denen das Pferd Futter sucht und leicht findet und der Mensch dabei nicht aus der Hand belohnen muss, sondern den Prozess nur begleitet. Im Video zeigen Pie-Casso und sein Lieblingsmensch Anja eine solche leicht umsetzbare Variante der klassischen Konditionierung. Eine Wolldecke oder ein Teppich dient dabei als Leckerliversteck, welches vom Pferd ausgerollt und mit kleinen Schätzen belohnt wird.
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Teppich ausrollen als Beispielübung
Es geht bei der Sequenz im Video also lediglich um eine Beispielübung zur Stressreduktion und nicht um die Erarbeitung des Zirkustricks. Natürlich kann am Ende auch ein vorzeigbarer Trick entstehen, aber darauf liegt hier nicht unser Fokus. Es geht also darum, dass ein durch den Click bereits leicht in Aufregung zu versetzendes Pferd lernt, dass die Assoziation Click und Futter relevant ist, nicht aber zwangsläufig die Verknüpfung mit der Handbewegung von der Futtertasche zum Pferdemaul. Zu diesem Zweck steht Anja entspannt neben Pie-Casso und beobachtet ihren Schützling bei seiner kleinen Schatzsuche. Sie clickt sobald er ein Leckerli findet, wobei das zeitgleiche Auftreten des Moments des Fressens vom Boden und dem Markersignal eine starke Verknüpfung des akustischen Markers durch den Mechanismus der klassischen Konditionierung etabliert. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass der Click mehr unbewusst wahrgenommen wird und das Pferd nicht durch neue Unruhe oder Ablenkung während der Futtergabe in seiner Konzentration gestört wird.
Klassische Konditionierung
Weiterhin wird als angenehmer Nebeneffekt Anjas entspannte Haltung und Passivität während dieser Übung ganz nebenbei mitkonditioniert. Pie-Casso lernt so unterschwellig, dass trotz Futter in der Situation entspanntes Erkunden möglich ist und sein Mensch einfach nur so dabei ist. Klassische Konditionierung funktioniert über das zeitgleiche Auftreten von zwei oder mehreren Aspekten. Zunächst soll also Ruhe während des Clicks hergestellt werden und nach und nach kommen weitere Faktoren dazu, etwa indem Anja an der Futtertasche rüttelt, im Futter herumwühlt oder aber näher an den Teppich herantritt. So werden alle später nötigen Komponenten im Clickertraining isoliert und sukzessive beiläufig hinzugenommen, ohne dass Pie-Casso eine besondere Aufmerksamkeit darauf lenkt.
Selbst zur Ruhe kommen
Eine wichtige Trainingskomponente ist es, selbst immer wieder zwischendurch durchzuatmen und nicht pausenlos von einer Übung zur nächsten zu wechseln. Der schnelle Wechsel überfordert viele Pferde und sie werden immer unruhiger. Abwarten und aus der Ruhe heraus eine Übung beginnen ist daher das A&O. Insbesondere in der Konditionierungsphase dürfen wir uns und unser Pferd nicht hetzen lassen und sollten Stressmomente vermeiden, denn hier legen wir die Basis für unseren gesamten weiteren Lernweg.
Eine Korrekturmaßnahme
Die im Video gezeigte Vorgehensweise ist auch eine Korrekturmaßnahme um vorher aufgekommenen Stress im Training zu reduzieren. Natürlich haben wir in der gezeigten Sequenz auch involvierte Negativverstärker. So hindern wir Pie-Casso daran sich selbst zu bedienen, er ist am Führstrick und kann sich nur in diesem Aktionsradius bewegen. Das ist eigentlich bei einem ohnehin ruhig auf den Click reagierenden Pferd nicht unbedingt nötig. Hier ist es jedoch ein Hilfsmittel um nicht immer wieder in die Falle zu tappen, dass er für jegliche Eigeninitiative belohnt wird. Überaktivität und dadurch entstehender Stress führt leicht dazu, dass der Click an sich zu einem Trigger für Unruhe wird. Folge davon kann sein, dass unser Pferd im Verlauf des Training immer unruhiger wird und sich nicht mehr in Gegenwart des Futters entspannen kann. Um diesem Teufelskreis zu entgehen, kann man die Entfaltungsmöglichkeiten für einen Moment einschränken. Um daraus neue funktionierende Regeln für ein ruhiges achtsames Clickertraining zu entwickeln.
Passivität ausstrahlen
Die meisten Pferde reagieren sehr genau auf die menschliche Körpersprache. Wollen wir beispielsweise Passivität ausstrahlen, so ist es hilfreich sich bewusst und vielleicht sogar etwas übertrieben in diese Ruhe hineinzuversetzen – die Schultern hängen zu lassen, eine schlaffere Körperhaltung als gewöhnlich einzunehmen und den Blick ziellos umherschweifen zu lassen und tief zu atmen. Das hört sich einfacher an als es tatsächlich ist. Gerade wenn wir ein schon sehr gestresstes und unruhiges Clickerpferd neben uns haben, werden wir immer mehr den Drang verspüren, die Unruhe abstellen zu wollen. Und aus diesem Wunsch heraus ist man oft verleitet immer wieder in die Situation hinein zu clicken und damit immer wieder neue Unruhe mit zu generieren. Manchmal ist es nötig den Kreislauf bewusst zu verlassen, damit man überhaupt einen Neuanfang starten kann.
Herzliche Grüße, Marlitt
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Marlitt Wendt
Ich bin Verhaltensbiologin und eine Pionierin auf dem Gebiet des Trainings mit positiver Verstärkung für Pferde. Das was zunächst als private Leidenschaft begann, ist seit fast 20 Jahren meine Berufung. Ich habe meinen Traum verwirklicht und durfte mein Wissen und meine Erfahrung als Autorin in vielen Sachbüchern und Fachartikeln veröffentlichen und als Dozentin auf Seminaren im gesamten deutschsprachigen Raum in der Praxis umsetzen. RPlus ist nun die Quintessenz meiner bisherigen Arbeit. Mit RPlus als Idee, positive Verstärkung in ihrer Gesamtheit darzustellen und den Grundgedanken des Gebens wirklich zu leben, veröffentliche ich hier lerntheoretische Inspirationen, meine eigenen Ausbildungskonzepte und persönliche Einblicke in meine Pferdewelt.
Conny Ranz
Ich bin Pferdefotografin und Grenzgängerin. Mit meiner Kamera bewege ich mich zwischen den Welten. Zwischen Tier und Mensch, zwischen Traum und Realität. Pferde ihrer Natur entsprechend in ihrer ganzen Persönlichkeit zu zeigen, begeistert mich damals wie heute. Dazu bin ich unter anderem europaweit auf den Spuren der Wildpferde unterwegs. Diese Begegnungen erwecken stets den Mut zur Freiheit in mir. Mit meinen Bildern durfte ich bereits an einigen Buchprojekten namhafter Verlage sowie in diversen Pferdemagazinen mitwirken. Vor allem aber verleihe ich damit unserem gemeinsamen Herzensprojekt RPlus aus vollster Überzeugung Flügel.