Pose oder Pause?

Wirkliche Entspannung, bitte…
Trainingspausen sind gut und wichtig, ganz klar. Sowohl jene zwischen einzelnen Trainingseinheiten, als auch besonders solche innerhalb einer Einheit fördern das Verstehen und Abspeichern der Lerninhalte. Gerade für viele Clickeranhänger*innen ist dieser Trainingsaspekt jedoch ein großes Problem. Pferde, die einmal sehr viel Vergnügen am Training mit positiver Verstärkung entwickelt haben und gleichzeitig nicht von Beginn an eine passende Pausenkultur kennengelernt haben, tun sich oft schwer damit innerhalb einer Einheit wirklich zur Ruhe zu kommen. Es fehlt die Möglichkeit quasi einen Schalter umzulegen vom „Trainingsmodus“ zum „Entspannungsmodus“. In der Folge bleiben sie häufig komplett in dem konzentrierten und fokussierten Trainingsmodus und entfernen sich emotional immer weiter von ihrem ruhigen, nicht fokussierten Entspannungsmodus. Je länger auf diese Art und Weise weiter trainiert wird, desto mehr gerät das Pferd nach und nach in Stress und desto wahrscheinlicher wird es, dass sich stressbedingte, unerwünschte Verhaltensweisen wie betteln, schnappen oder scharren sich häufen.

Posen bieten keine Entspannung
Dazu kommt, dass viele von uns Clickertrainer*innen zwar Ruheübungen trainieren, dabei aber am eigentlichen Ziel dieser Übungen vorbeischlittern. Oft wird etwa eine Stillstehübung mit einer Pose, etwa einem geraden Stehen auf allen vier Beinen mit gerade nach vorne gehaltenem Kopf geübt. Diese Pose ist natürlich zwar eine schöne Übung und kann enorm helfen an der Futterhöflichkeit zu arbeiten, sie löst aber allein meist nicht das Problem der mangelnden Entspannung. Solange man feststellt, dass das Pferd auch während der eigentlich als Pause und Entspannung gedachten Phase eigentlich in einer angespannten Erwartungshaltung bleibt und somit eigentlich in Trainingsstimmung bleibt, solange hat man gar keine echte Pause im Training gemacht. Nicht nur die Erwartungshaltung des Pferdes auf den nächsten Click und das nächste Leckerli verhindert eine echte Entspannung, auch die hohe Aufmerksamkeit und der damit verbundene erhöhte Muskeltonus steht einer sinnvollen Pause im Wege.
Merkmale echter Pausen-Entspannung
Wirkliche Entspannung ist ein Gesamtzustand des Pferdes. Dabei soll es seine Konzentration und den Fokus loslassen und eher in sich selbst ruhen, den Blick weich umherschweifen lassen, ohne die nächste Aufgabe zu fokussieren und dabei auch die Muskulatur zu entspannen. Diesen Entspannungszustand erreicht man bei vielen Pferden nicht mal eben im Vorbeigehen, sondern muss dafür entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Phasen etwa, in denen das Pferd gekrault wird und sich so auf seine körperlichen Empfindungen einlassen kann. Oder auch Phasen, in denen es am Rande des Reitplatzes grast und wir einfach dabei zuschauen, wie es die Grashalme zupft. Das alles funktioniert meist nur dann, wenn wir selber unser Mindset verändern.
Entspannung entsteht beiläufig
Eine innere Botschaft im Sinne von „entspann Dich!“ als Message an das Pferd, hat selten zur echten Entspannung beigetragen. Entspannung kann nicht direkt herbeigeführt oder gar erzwungen werden, sie entsteht eher beiläufig, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu ist es für uns Menschen wichtig auch immer wieder die eigenen fokussierten Gedanken, die eng gesteckten Trainingsziele oder den inneren Trainingspläne loszulassen, bewusst zu atmen, sich an der Schönheit des Pferdes und des Moments zu erfreuen und keine konkrete Handlung ins Visier zu nehmen. Auch wir kommen dann vom Posieren, vom definierten Dasein in unsere Pausen-Haltung und können ebenso von diesem Zustand profitieren.
Beispiel: Kraul-Pausen
Die meisten Pferde genießen sanfte Berührungen, ruhige Streicheleinheiten und intensive Massagen. Diejenigen Pferde, die dies nicht von Natur aus genießen können, können es durchaus lernen. Gefragt sind wie immer wir, damit wir herausfinden, welche Berührung wie beim Pferd ankommt. Es macht einen großen Unterschied, ob wir es zwar nett meinen, aber durch unsere Ungeschicklichkeit permanent Körperstellen auswählen, die nicht zu den Lieblingsstellen des Pferdes gehören oder uns in der Druckintensität unserer Berührungen verschätzen. Wir kennen es von uns selbst: An manchen Tagen oder bestimmten Körperpartien schätzen wir sanfte, kreisende Bewegungen, vielleicht gar die luftige Berührung einer Feder, während wir an anderen eher kräftig, mit knetenden Massagegriffen beglückt werden möchten. Ebenso gibt es auch beim Pferd bestimmte Vorlieben und Abneigungen. Am besten gelingt das Üben von Kraul-Pausen nicht innerhalb einer tatsächlichen Trainingssession, sondern in ruhiger angenehmer Atmosphäre ohne Ablenkung, also eher nicht inmitten der gesamten Pferdeherde, sondern allein mit unserem Pferd an einem sicheren, überschaubaren Ort.

An welchen Körperpartien genießt es unser Pferd, wenn wir es sanft streicheln und kraulen?
Zum Beispiel an diesen Stellen:
Rechts und links vom Widerrist
Unterseite Hals
Mähnenkamm
Am Oberschenkel/Po
…
Oder an ungewöhnlicheren Stellen:
Innenseite der Hinterbeine
Euterregion bei Stuten
Bauchnaht vor dem Bauchnabel
Hinter den Ohren
Unterseite der Schweifrübe
…
Um klar erkennen zu können, ob das Pferd unsere Berührungen wirklich genießt, sollte man auf mögliche Abwehrreaktionen achten:
Wegziehen der Körperpartie
Blick abwenden
Kräuseln der Lippen
Droh- oder Stressmimik
Drohverhalten jeglicher Art
Starrer Blick
…
Dagegen sind die Zeichen für Entspannung und Wohlbefinden meist auch sehr schnell zu entdecken:
Ruhiges Verharren
Präsentieren der Lieblingsstellen
Putzgesicht mit verlängerter Oberlippe
Anbieten des gegenseitigen Kraulens
nach innen orientierter, „entrückter“ Blick
Hineinhorchen in den Körper mit nach hinten gerichteten Ohren
…
Wer einmal erkennt, was genau dem eigenen Pferd guttut kann dieses Wissen in vielen, vielen Situationen anwenden:
Um Schmerzen zu lindern
das Wohlbefinden zu steigern
Das Pferd zu beruhigen
Das Gemeinschaftsgefühl zu verstärken
Lernpausen zu genießen
In diesem Sinne: Erkundet den Körper eurer Pferde und findet so während der Pause in eine echte Entspannung. Marlitt
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Marlitt Wendt
Ich bin Verhaltensbiologin und eine Pionierin auf dem Gebiet des Trainings mit positiver Verstärkung für Pferde. Das was zunächst als private Leidenschaft begann, ist seit fast 20 Jahren meine Berufung. Ich habe meinen Traum verwirklicht und durfte mein Wissen und meine Erfahrung als Autorin in vielen Sachbüchern und Fachartikeln veröffentlichen und als Dozentin auf Seminaren im gesamten deutschsprachigen Raum in der Praxis umsetzen. RPlus ist nun die Quintessenz meiner bisherigen Arbeit. Mit RPlus als Idee, positive Verstärkung in ihrer Gesamtheit darzustellen und den Grundgedanken des Gebens wirklich zu leben, veröffentliche ich hier lerntheoretische Inspirationen, meine eigenen Ausbildungskonzepte und persönliche Einblicke in meine Pferdewelt.

Conny Ranz
Ich bin Pferdefotografin und Grenzgängerin. Mit meiner Kamera bewege ich mich zwischen den Welten. Zwischen Tier und Mensch, zwischen Traum und Realität. Pferde ihrer Natur entsprechend in ihrer ganzen Persönlichkeit zu zeigen, begeistert mich damals wie heute. Dazu bin ich unter anderem europaweit auf den Spuren der Wildpferde unterwegs. Diese Begegnungen erwecken stets den Mut zur Freiheit in mir. Mit meinen Bildern durfte ich bereits an einigen Buchprojekten namhafter Verlage sowie in diversen Pferdemagazinen mitwirken. Vor allem aber verleihe ich damit unserem gemeinsamen Herzensprojekt RPlus aus vollster Überzeugung Flügel.