Selbstbestimmung im Spiel?
Spiel ist nicht gleich Spiel
Ich persönlich möchte neben wirklichen Trainingssessions, bei denen ich eine bestimmte Verhaltensweise trainieren möchte und so eine Richtung des Prozesses vorgebe, auch immer wieder mit meinen Pferden spielen. Denn im freien Spiel erfahren wir viel über die Persönlichkeit des Pferdes und über uns selbst. Hauptsache wir begegnen den Tieren nicht immer in unserem Trainingsmodus, sondern bleiben aufmerksam für ihre Stimmung und die Bedürfnisse uns auch mal auf eine andere Weise erleben zu dürfen.
In Spielstimmung zu kommen setzt bei Pferden eine generelle Entspannung voraus. Gerade dieser Faktor wird häufig unterschätzt, wenn es heißt „Mein Pferd spielt nicht“ oder „Es lässt sich nur schwer motivieren“. Viel zu viele Pferde haben unterschwellig Stress in Gegenwart von uns Menschen, sie fürchten womöglich eine unklare Aufgabenstellung, die Trainingsmethoden oder aber schlicht eine hohe Erwartungshaltung. In den allermeisten Fällen spielen auch erwachsene Pferde sehr gerne – nur nicht mit jedem*jeder, in jeder Situation und in jeder Stimmung.
Schwingungsbarometer Pferd
Viele Pferde reagieren äußerst empfindlich auf die emotionalen Schwingungen ihres*ihrer Zweibeiner*in. Sie schaffen es dann zum Beispiel nicht sich vollkommen auf ein Spiel einzulassen, wenn sie spüren, dass auch der Mensch nicht selbstvergessen spielt und so seine Wünsche und Zielvorstellungen auf das Tier projiziert.
Faktor Selbstbestimmung
Um die Spiellaune bei unseren Pferden zu wecken, ist eine entspannte Atmosphäre und ein behutsames, nicht aufdringliches Spielangebot nötig. Spielstimmung kommt etwa dann oft auf, wenn man selbst versunken mit einem Spielzeug spielt, ohne das Pferd zunächst aktiv mit einzubeziehen oder zu bedrängen. Oder indem man Blickkontakt sucht, den Blick wieder abwendet und selbst in dem Laufen oder Hüpfen aufgeht. Doch Vorsicht: All das wird nur funktionieren, wenn die eigene Energie nicht völlig unterschiedlich zur Energie des Pferdes ist, und nur dann wenn man es schafft, das Pferd nicht zu überrumpeln und zu nötigen. Es ist eben ein Unterschied, ob jemand bespielt wird oder ob man gemeinsam spielt. Pferde erkennen das ganz genau.
Wie erkennt man das Spielgesicht des Pferdes?
im Spiel zeigen Pferde ihre Lebensfreude über eine weiche Gesichtsmuskulatur, runde, große, leuchtende Augen und vor allem auch über die bei jeder Art von Erregung vorgeschobene Oberlippe. Diese kann rüsselartig verlängert erscheinen und wird sowohl bei Laufspielen als auch bei ruhigen Objektspielen oder bei spielerischen Rangeleien gezeigt. Besonders beim Laufspiel können die Ohren komplett flach an den Schädel gepresst werden. Pferde schlüpfen im Spiel gewissermaßen in verschiedene Rollen. Sie spielen Jäger*in und Gejagte*r und wechseln diese Rollen im Spielverlauf immer wieder mit ihren Spielgefährt*innen.
Was ist mit dem Drohgesicht?
Diesen typischen Mobilisierungsprozess kann man gut an den typischen sicht- oder messbaren Stress-Reaktionen wie Hierbei können sie innerhalb einer Spielsequenz durchaus eine überzeugende aggressive Drohmimik präsentieren. Für dieses ausgelassene Spiel schauspielern sie gewissermaßen, denn das Spiel beinhaltet die Möglichkeit für die Pferde gefahrlos verschiedene Rollen auszuprobieren. Der Unterschied zum echten Drohgesicht liegt im Detail: Zum einen im Anspannungsgrad der Kaumuskulatur und der Kinn-, Lippen und Nüsternregion, zum anderen eben in diesem schnellen Wechsel der Ohrenstellung.
Bespielt werden hat nichts mit Spielen zu tun
Es ist ein großer Unterschied ob man wirklich aus freien Stücken und fröhlich im Herzen miteinander spielt oder ob der*die eine den*die andere*n bespielt bzw. sich eigentlich hinter dem Begriff „Spiel“ eine Manipulation versteckt. Echtes Spiel lebt von zwei oder mehr gleichberechtigten Partner*innen, die miteinander, aber immer auch unabhängig voneinander agieren dürfen. Die frei in ihrem Handeln sind und sich von der ausgelassenen Stimmung des Augenblicks mitreißen lassen können.
Augen auf bei Veranstaltungen!
Immer wenn wir Vorführungen sehen, etwa in der Freiheitsdressur oder bei der Bodenarbeit bei denen die Pferde der Wahl beraubt werden ob sie sich beteiligen oder sich entziehen können, dann sollte man vorsichtig sein, ob es sich wirklich um ein spielendes Pferd handelt. Auch wenn der Mensch Hilfsmittel wie Seil, Gerte oder Stick benötigt, um das Pferd zu „motivieren“, dann liegt der Verdacht nahe, dass diese Hilfsmittel eher zum Treiben eingesetzt werden. Das echte Spiel braucht keine Androhung von Gewalt und lebt auch nicht von der Verstärkung der „Hilfen“.
Spielen hat nichts mit Druck zu tun, LG, Marlitt
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Marlitt Wendt
Ich bin Verhaltensbiologin und eine Pionierin auf dem Gebiet des Trainings mit positiver Verstärkung für Pferde. Das was zunächst als private Leidenschaft begann, ist seit fast 20 Jahren meine Berufung. Ich habe meinen Traum verwirklicht und durfte mein Wissen und meine Erfahrung als Autorin in vielen Sachbüchern und Fachartikeln veröffentlichen und als Dozentin auf Seminaren im gesamten deutschsprachigen Raum in der Praxis umsetzen. RPlus ist nun die Quintessenz meiner bisherigen Arbeit. Mit RPlus als Idee, positive Verstärkung in ihrer Gesamtheit darzustellen und den Grundgedanken des Gebens wirklich zu leben, veröffentliche ich hier lerntheoretische Inspirationen, meine eigenen Ausbildungskonzepte und persönliche Einblicke in meine Pferdewelt.