Wie Jungpferde spielend fürs Leben lernen
Wenn Jungpferde mit erwachsenen Pferden spielen
Jungpferde brauchen für ihre individuelle Persönlichkeitsentwicklung neben einer stabilen Herde und vielen Bewegungsanreizen auch motivierte Spielpartner*innen. Hier gibt es einmal das wichtige Spiel mit Gleichaltrigen, bei dem sie selbstvergessen toben, sich an den eigenen Fähigkeiten und Stärken erfreuen und spielerisch miteinander konkurrieren können und ebenso das Spiel mit erwachsenen Pferden oder älteren Spielpartner*innen, an denen sie ihre Grenzen testen, die Herausforderung suchen und mögliche Positionen innerhalb der Gruppe ausloten. Daher ist es besonders schön, wenn es in der Herde neben den Jungpferden auch ältere Tiere gibt, die sich zum Spiel animieren lassen und so einen wichtigen Teil der Fohlenentwicklung begleiten. Dabei können wir über die Beobachtung sehr viel über das Spielverhalten, die Mimik und auch über die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Jungpferdes erfahren. Mehr zum Spielverhalten findet ihr auch hier und zum Spielgesicht hier. Die hier für unsere Kategorie Zoom (dort findest du unsere Beiträge, die sich speziell und im Detail mit dem Ausdrucksverhalten beschäftigen) ausgewählte Fotosession zeigt zwei Islandpferde, einen hellen Palomino Jährlingswallach und einen dunklen Rappwallach von bereits knapp 30 Jahren.
Spiellaune im Solitärspiel
Der kleine Solvindur ist ein lebhafter Jährling, der gerne auch für sich allein im vollen Galopp über die Weide fetzt. Im sogenannten Solitärspiel erproben Fohlen ganz für sich und selbstvergessen die Fähigkeiten ihres Körpers. Sie galoppieren, bocken, steigen und schlagen wilde Haken. Gerade das Beschleunigen und Abbremsen scheint ein wichtiger Teil des Solitärspiels zu sein. Sie erleben so ihre eigene Schnelligkeit und Geschicklichkeit. Dabei umrunden Fohlen und Jungpferde meist die Herde in wechselndem Tempo und mit der typischen Mimik des Spielgesichts.
Spielaufforderung
Es gibt verschiedene Verhaltensweisen mit denen Jungpferde auch ältere Tiere zum Spielen auffordern. Eine Möglichkeit sehen wir hier im Foto. Solvindur nähert sich seinem erwachsenen Spielpartner von seitlich hinten und verweilt etwa mit dem Kopf auf Schulterhöhe. Dabei zeigt er im Gesichtsausdruck sowohl seine Spiellaune anhand der verlängerten Oberlippe und der weichen Lippenpartie, präsentiert aber auch gleichzeitig eine etwas abwartende, unterwürfige Mimik durch den recht niedrig gehaltenen Kopf und die mit der Öffnung seitlich weisenden Ohren. Er wartet nun darauf, dass sein Gegenüber auf seine Spielidee eingeht. Dieser wiederum wendet sich dem Jährling ebenfalls mit verlängerter Oberlippe zu und geht so offensichtlich auf das Spielangebot ein.
Spielbeginn
Der ältere Rappwallach Svarri kontrolliert zunächst direkt das Geschehen. Er blockiert die Bewegungsrichtung und „zwingt“ den kleinen Solvindur so sich an seine Spielregeln zu halten. Solvindur beginnt das Spiel mit dem typischen Beißspiel junger Hengste und Wallache. Er zeigt deutlich seine Zähne und zwickt den Älteren in den Hals, zeigt aber über seine lockere Ohrenhaltung keinerlei Aggressionen.
Spielverlauf weiter kontrollieren
Um den Spielverlauf weiter zu kontrollieren und möglicherweise vom eher stationären Spiel in ein Bewegungsspiel zu wechseln, steigt Svarri seitlich hinter Solvindur und treibt ihn so spielerisch vor sich her. Die Spielabsicht ist über die typische Mimik bei beiden Pferden sichtbar. Der Jährling reagiert nicht mit Stressignalen, sondern lässt sich mit weichem Gesichtsausdruck zur Verlagerung des Spiels animieren.
Kleine Rangeleien
Das gegenseitige Ansteigen, Beißen und Schieben mit den Schultern sind typische Merkmale des Spielverhaltens. Vor allem männliche Pferde spielen oft sehr ruppig und körperbetont. Sie messen ihre Kräfte und setzen viel Energie ein, den anderen zu überlisten. In der spielerischen Auseinandersetzung wird es im Gegensatz zum echten Kampf nur sehr selten zu Verletzungen kommen, da die Bewegungen und „Angriffe“ auf einander abgestimmt und gut dosiert ausgeführt werden.
Spielerisch ins Genick beißen
Der Biss ins Genick ist auch eine typische Verhaltensweise im späteren Hengstkampf. Der Kontrahent wird dabei am Genick oder am Hals gepackt und es wird versucht ihn herumzuziehen oder zu Boden zu drücken. Der viel kleinere und leichtere Solvindur hat hier natürlich keine Chance dazu, er versucht aber geschickt mit gestreckten Vorderbeinen seinen Körper entsprechend als Hebel zu verwenden.
Spielerische Abwehr
Der viel stärkere und erwachsene Svarri kann sich locker aus einem solchen „Würgegriff“ befreien. Er wehrt dieses Spielverhalten ab ohne den Jährling aber direkt in die Schranken zu weisen oder in die Defensive zu drängen. Das Spiel wird so noch etwas weiter am Laufen gehalten ohne seine Leichtigkeit zu verlieren.
Flankenbiss
Dieser Flankenbiss von Solvindur leitet das Ende des Spiels ein. Offenbar wird es dem erwachsenen Pferd nun zu bunt oder Svarri empfindet es doch als unangemessene Provokation. Wenige Sekunden später leitet der Wallach deutlich das Ende dieser Spielsequenz ein und weist den Jüngeren unmissverständlich in seine Schranken.
Hinterhandschlag
Der hier gezeigte Hinterhandschlag ist ein Verhalten, welches eindeutig der körperlichen Abgrenzung dient. Der*Die Kontrahent*in oder Spielpartner*in wird so robust auf Abstand gebracht und wenn der Schlag energisch mit Wucht ausgeführt wird, kommt die Botschaft beim Gegenüber unmissverständlich an. In der sonst so leisen Pferdesprache heißt das dann: „Schluss jetzt!“.
Ganz viel Spaß beim Beobachten eurer Lieblinge, Marlitt
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Marlitt Wendt
Ich bin Verhaltensbiologin und eine Pionierin auf dem Gebiet des Trainings mit positiver Verstärkung für Pferde. Das was zunächst als private Leidenschaft begann, ist seit fast 20 Jahren meine Berufung. Ich habe meinen Traum verwirklicht und durfte mein Wissen und meine Erfahrung als Autorin in vielen Sachbüchern und Fachartikeln veröffentlichen und als Dozentin auf Seminaren im gesamten deutschsprachigen Raum in der Praxis umsetzen. RPlus ist nun die Quintessenz meiner bisherigen Arbeit. Mit RPlus als Idee, positive Verstärkung in ihrer Gesamtheit darzustellen und den Grundgedanken des Gebens wirklich zu leben, veröffentliche ich hier lerntheoretische Inspirationen, meine eigenen Ausbildungskonzepte und persönliche Einblicke in meine Pferdewelt.
Conny Ranz
Ich bin Pferdefotografin und Grenzgängerin. Mit meiner Kamera bewege ich mich zwischen den Welten. Zwischen Tier und Mensch, zwischen Traum und Realität. Pferde ihrer Natur entsprechend in ihrer ganzen Persönlichkeit zu zeigen, begeistert mich damals wie heute. Dazu bin ich unter anderem europaweit auf den Spuren der Wildpferde unterwegs. Diese Begegnungen erwecken stets den Mut zur Freiheit in mir. Mit meinen Bildern durfte ich bereits an einigen Buchprojekten namhafter Verlage sowie in diversen Pferdemagazinen mitwirken. Vor allem aber verleihe ich damit unserem gemeinsamen Herzensprojekt RPlus aus vollster Überzeugung Flügel.