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RPlus | Die Koniks der Geltinger Birk
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Und was wir von ihnen lernen können

 

Ganz im Norden von Schleswig-Holstein, am Ausgang der Flensburger Förde, liegt das Naturschutzgebiet Geltinger Birk direkt an der Ostsee. Für uns Pferdefreund*innen besonders deswegen so einmalig spannend, weil dort seit etwa 20 Jahren halbwild lebende Koniks als Landschaftspfleger eingesetzt werden. Und diese kleinen Pferdchen können nicht nur die Landschaft im Sinne des Naturschutzes gestalten, sie können uns auch viel über das natürliche Verhalten der Tierart Pferd zeigen und damit als lebendiges Vorbild für unsere Kommunikation mit dem Reitpferd dienen.

Pferdeverhalten beobachten

 

Ein Spaziergang auf dieser wunderschönen Halbinsel lädt dazu ein die Koniks in ihrem jahreszeitlich unterschiedlich geprägten Tagesablauf zu beobachten. Im Frühling etwa, wenn die Fohlen geboren werden kann man viele interessante Verhaltensweisen rund um die ersten Lebensmonate eines Pferdes, seine Verbindung zur Mutter und zu den anderen Herdenmitgliedern entdecken. Und ganz nebenbei die vielfältigen Strukturen der Pferde dort erfassen. Da auf der Geltinger Birk um die 50 Tiere leben und jährlich etwa 12 bis 15 Fohlen geboren werden gibt es viele unterschiedliche Verhaltensweisen zu beobachten. Die Koniks bilden ihre natürlichen kleinen Familienverbände. Jede Familie besteht aus einem Hengst und den zu ihm gehörenden Stuten und deren Nachwuchs. Die Junghengste, die noch keinen eigenen Familienverband gegründet haben, sammeln sich in Junggesellengruppen, den unter Verhaltensforscher*innen sogenannten Bachelor-Groups. Erst wenn sie erwachsen und erfahren genug sind gründen sie eine eigene Familie.

Was fällt auf, wenn man diese Grüppchen beobachtet?

 

Die Koniks zeigen uns auf ihre Art in ihren kleinen Familienverbänden unter anderem auch, wie die Kommunikation unter Pferden funktioniert. Beispielsweise wie wichtig den Tieren die sozialen Beziehungen sind. Wer sich etwas Zeit nimmt zu beobachten, der wird sofort entdecken, welche Tiere in einem engeren Verhältnis zueinander stehen und welche Tiere sich quasi kaum begegnen. Während die eng miteinander vertrauten Pferde ganz subtil miteinander kommunizieren und buchstäblich beim Grasen in einen intensiven Dialog treten, kommunizieren die nicht so eng befreundeten Pferde auch etwas mehr auf Distanz.

Subtile Kommunikation

 

Unter Freund*innen zeigt ein Zwinkern oft schon eine Absicht zu einem Ortswechsel an, unter „Fremden“ wird sehr viel mehr auch einmal aus der Entfernung bereits gedroht und der eigene Raum gewahrt. Daraus können wir als Pferdemenschen sehr viel ableiten: Je vertrauter wir unserem Pferd sind, desto leichter und scheinbar unsichtbar wird es auch mit uns kommunizieren und auf feinste Signale reagieren. Pferde sind dafür gemacht, kleinste Veränderungen in der Körperhaltung und Körpersprache wahrzunehmen. Sie reagieren Forschungen zufolge zum Beispiel bereits auf Unterschiede in der Ohrenstellung von weniger als einem Millimeter.

Die Basis einer Beziehung

 

Aus Pferdesicht muss also eine vertraute Person ihre Absicht nicht mit einem riesigen Wedeln der Arme oder gar mit einem Seil kundtun, es reicht dann ein Augenaufschlag um in einen gemeinsamen Dialog zu treten. Und dieser Dialog entsteht zunächst gar nicht in der eigentlichen Trainingssituation, sondern im Lebensumfeld des Pferdes. Das eigene Pferd beim Grasen beobachten, neben ihm Zeit verbringen während es mit Freund*innen sein Heu vertilgt oder es zum Wasser begleiten, all das sind Momente, in denen wir, wenn wir die Koniks und ihr Verhalten vor unserem inneren Auge revuepassieren lassen, Beziehungsarbeit leisten. Zeit verbringen ohne etwas zu fordern oder zu erarbeiten, das ist die natürliche Basis einer Beziehung.

Ein anderes Gefühl für die Zeit

 

Ganz eng mit dieser Form der natürlichen Beziehungspflege zusammen hängt das unterschiedliche Zeitgefühl von Pferd und Mensch. Nicht nur bei den Koniks, auch bei unseren Hauspferden auf der Weide wechseln sich Zeiten der Aktivität und Zeiten der Ruhe miteinander ab. In der Beobachtung der freilebenden Koniks wird deutlich, dass die Tiere sich Zeit für ihre jeweilige Tätigkeit nehmen. Da wird in aller Ruhe im Schutze der Herde geruht oder ganz genüsslich der*die beste Freund*in gekrault.

Wahrnehmung aus Sicht des Pferdes

 

Wir Menschen hingegen haben oft schon während wir eine Sache machen die nächste im Kopf. Oft genug besuchen wir unsere Pferde ja bereits in der Absicht zu reiten. Und nehmen uns dann nicht die Zeit erstmal eine höfliche Begrüßung zuzulassen, das Pferd zu fragen ob es uns begleiten möchte, hinein zu spüren wonach uns und unserem*unserer vierbeinigen Partner*in überhaupt der Sinn steht. Oft geht eine Tätigkeit in die nächste über, Aufgaben werden abgehakt und es entsteht kein Dialog. Die Koniks zeigen wie Pferde kommunizieren und leben. Jede Begegnung, jede Berührung und jede Tätigkeit ist wichtig. Sie widmen dieser Tätigkeit Zeit und Aufmerksamkeit. Für uns geschieht dies gefühlt im Zeitlupenmodus. Wir denken vielleicht, wir hätten alles gesehen, wenn ein Pferd in die Ferne schaut. Das Pferd jedoch nimmt andere Details wahr als wir und verarbeitet diese anders als wir.

Der Schlafrhythmus von Pferd und Mensch

 

Zum unterschiedlichen Zeitgefühl von Pferd und Mensch gehört auch die Tatsache, dass sich unser Ruhe- und Schlafverhalten deutlich voneinander unterscheidet. Auch das kann man bei einem Tag auf der Geltinger Birk bei den Koniks eindrücklich erfahren wenn man sich darauf einlässt. Wissenschaftlich betrachtet hat der Durchschnittsmensch mit vereinzelten Ausnahmen einen monophasischen Schlafrhythmus. Das bedeutet Schlaf und Tagesaktivität wechseln sich ab. Es gibt – abgesehen von Kleinkindern und Mittagsschlafliebhaber*innen – eine Nachtruhe, in der fast der gesamte Schlaf des gesunden Menschen stattfindet.

Ruheverhalten des Pferdes entdecken

 

Das Pferd hingegen ist ein sogenannter polyphasischer Schläfer. Sein Schlafrhythmus ist mehrfach je nach Jahreszeit, Temperaturen und Klimazone unterschiedlich über den Tag verteilt. Bei Pferden wechseln sich also Ruhe- und Aktivitätszeiten diverse Male Tag und Nacht miteinander ab. Die Koniks ruhen oft gemeinsam in der Gruppe, um dann wieder zusammen zur Nahrungsaufnahme loszuziehen. Und genau das von den Koniks in ihrer ganz natürlichen Art und Weise gelebte Ruheverhalten ist bei unseren Hauspferden so oft gestört. Da ist es häufig genug so, dass genau zur Ruhezeit der anderen ein Ausritt geplant ist oder die Springstunde mit dem gemütlichen Abendheu der Herde kollidiert. Sicher kann man nicht immer seinen eigenen Tagesablauf komplett an die Ruhe- und Aktivitätszeiten des Pferdes anpassen, es ist aber dennoch sehr empfehlenswert das einmal zu erfassen und die Herde Zuhause auf der Weide zu unterschiedlichen Tageszeiten zu besuchen um ein Gefühl dafür zu entwickeln was zu welcher Tageszeit meist unternommen wird. Und daraus ableiten, wann wir mit unserem Besuch als willkommene Abwechslung wahrgenommen werden und wann eventuell sogar etwa eher störend.

Beziehungspflege

 

Das gegenseitige Fellkraulen gehört zum Sozialverhalten der Pferde. Sie kraulen sich gegenseitig, um Beziehungen zu knüpfen, Freundschaften zu vertiefen, sich gegenseitig Wohlbefinden zu schenken und den Stresslevel zu reduzieren. Bei den Koniks kann man all diese Aspekte des Sozialverhaltens eindrucksvoll und häufig beobachten. Allgemein gilt, je häufiger sich bestimmte Pferde gegenseitig kraulen, desto sympathischer sind sie einander und desto enger sind sie miteinander befreundet. Im Verlauf des Rossezyklus‘ der Stute kommt es an den Tagen in der Nähe der Empfängnisbereitschaft zu besonders ausgeprägten Krauleinheiten zwischen Hengst und Stute. Hier steht die Paarbindung und das Paarungsvorspiel im Vordergrund. Zur Zeit des Fellwechsels dagegen dient das Fellkraulen auch zur gegenseitigen Fellpflege.

Freundschaften vertiefen

 

Am Fellkraulen kann man sehr gut die Beziehungen und Freundschaften der Konik-Pferde untereinander kennenlernen. Die Kraulaufforderungen können dabei mehr oder weniger subtil sein. Vorsichtig Anfragen ob ein Kraulen erwünscht ist, kann jedes Pferd, es akzeptiert jedoch auch ein „nein“ des anderen, wenn dieses in der Stellung innerhalb der Herde gerade ein anderes bevorzugt. Das gegenseitige Fellkraulen ist ein intensives Bedürfnis eines Pferdes. Es braucht funktionierende Beziehungen und Freundschaften zu anderen Pferden und drückt den Grad der Freundschaft unter anderem über das Fellkraulen aus. Ganz allgemein fördern positiv empfundene Berührungen von befreundeten Individuen das gesunde Immunsystem und die Wundheilung und reduzieren Stress.

Bevorzugte Körperpartien?

 

Pferde kraulen sich gegenseitig bevorzugt am Hals, am Widerrist und entlang des Rückens. Entlang dieser Regionen leiten körpereigene Sensoren die positiven Empfindungen direkt weiter an das Pferdegehirn. Berührungen in diesem Bereich, besonders am Widerrist beruhigen Pferde, sie senken sogar nachweislich die Herzfrequenz. Pferde sind individuell je nach Rasse (Vollblüter haben im Allgemeinen eine dünnere Haut und sind berührungsempfindlicher als Ponys oder Kaltblüter) und Persönlichkeit unterschiedlich zu kraulen. Die meisten Pferde lieben eher kräftiges Kratzen oder Kneten und nur an bestimmten Körperregionen wie etwa an der Schweifrübe sanfte, zarte Berührungen. Besonders leicht kann sich der Mensch beim Kraulen am Genussgesicht des Pferdes mit vorgeschobener, verlängerter Oberlippe, in sich gekehrtem Blick und erhobenem Kopf bzw. dem Beginn des Zurück-Kraulens orientieren.

Ausdruck und Körpersprache

 

Der Ausdruck und die gesamte Körpersprache der Koniks ist einzigartig, sie verkörpern jedes einzelne Bewegungsmuster, welches in der Verhaltensbiologie je beschrieben wurde und sind nicht nur ein blasses Abbild dessen, wie es so oft auf unseren Weiden zu beobachten ist. Sie zeigen ihre Emotionen, interagieren mit anderen und geben ihre Persönlichkeit so nach außen hin preis. Das ist etwas was viele Menschen und viele Reitpferde verlernt haben – oder nie ausleben durften.

Meine Kraft schöpfe ich aus meinen Ideen für die Zukunft und nicht aus den Leistungen, die hinter mir liegen. Reinhold Messner

Die unverstellte Persönlichkeit eines Pferdes

 

Aufgrund ihrer Lebensbedingungen in unserer modernen Welt, ebenso wie aufgrund von negativen Lernerfahrungen in der Kindheit. Das unverwechselbare Selbst präsentieren Pferde von Natur aus in ihren Bewegungen, in ihrer Körpersprache, in ihrer Mimik. Besonders leicht zu erfassen ist der noch ungeschliffene Rohdiamant ihrer Persönlichkeit in Situationen, in denen sie gefallen wollen, in der Kommunikation mit ihren Artgenoss*innen. Sei es in der Interaktion zwischen Mutter und Fohlen, im gemeinsamen Ruhen im Schatten der Bäume oder aber im eindrucksvollen Imponiergehabe.

Pures Sein

 

Die Koniks haben die einzigartige Fähigkeit sie selbst sein zu dürfen und sich in seinem Selbst zu zeigen. Beobachtet man ihre Präsenz und Anmut, so kann das aufzeigen, warum es so wichtig ist auch dem eigenen Freizeitpferd dabei zu helfen aus sich herauszukommen. Ihm dafür einen pferdegerechten Lebensraum zu schenken ist das eine. Es braucht Raum um sich entfalten zu können. Einen Lebensraum, eine möglichst stabile Gruppe mit Artgenoss*innen und vieles mehr.

Begeisterung entflammen

 

Das andere ist der Aspekt die Freude am Tun zu entfachen. Die Freude am gemeinsamen Dasein ebenso wie die Freude an der Bewegung wiederzuerlangen. Zunächst ohne großangelegte Hintergedanken in Form konkreter Lektionen. Einfach ein Plus für die Bewegungsfreude. Eigene Impulse bemerken, das Pferd loben, es belohnen. Das macht es mutiger und zeigt ihm einen Weg aus seinem Schneckenhaus. Es zeigt ihm, dass wir es sehen wollen, dass wir es schön finden, wenn es sich selbst groß macht, sich selbstbewusst zeigt. Aus dem ersten langsamen, vorsichtigen Herausspähen aus dem Schneckenhaus wird so nach und nach ein echter Austausch von Ideen zwischen zwei Partner*innen auf Augenhöhe möglich. Es werden größere Bewegungen gezeigt, immer mehr starke Posen und schnelle Wechsel. Es entsteht Rhythmus, Kadenz, Präsenz. Wir entdecken hinter der gehemmten Fassade ein agiles Pferd, welches die ursprüngliche Vitalität der Wildpferde in sich trägt.

Was Pferdsein bedeutet

 

Viele Pferde erscheinen wie Schattenwesen, wie eine leere Hülle ohne die entscheidende Substanz. Jedes bisschen „Ich“ haben sie so gut in der Dunkelheit versteckt, dass es bei manchen Pferden eine unglaubliche Herausforderung ist dieses Selbstwertgefühl wieder zurück ins Licht zu holen. Pferde, die in ihrem Schneckenhaus gefangen sind, brauchen Erfolgserlebnisse. Viele Erfolgserlebnisse, sehr viele. Sie brauchen Lob und Belohnungen in erster Linie als Geschenke. Erst wenn sie uns glauben, dass wir es mit unseren Geschenken ernst meinen und sie damit erfreuen wollen und diese Geschenke nicht als neue Werkzeuge benutzt werden Macht über sie auszuüben und sie zu manipulieren, werden sie sich öffnen können. Und uns ihr wahres „Ich“ zeigen. Das was uns auch jeder einzelne Konik der Geltinger Birk so selbstverständlich zeigt: Was Pferdsein im Kern wirklich bedeutet.

Ein Besuch auf der Geltinger Birk lohnt sich jedenfalls, Marlitt

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Marlitt Wendt

 

 

Ich bin Verhaltensbiologin und eine Pionierin auf dem Gebiet des Trainings mit positiver Verstärkung für Pferde. Das was zunächst als private Leidenschaft begann, ist seit fast 20 Jahren meine Berufung. Ich habe meinen Traum verwirklicht und durfte mein Wissen und meine Erfahrung als Autorin in vielen Sachbüchern und Fachartikeln veröffentlichen und als Dozentin auf Seminaren im gesamten deutschsprachigen Raum in der Praxis umsetzen. RPlus ist nun die Quintessenz meiner bisherigen Arbeit. Mit RPlus als Idee, positive Verstärkung in ihrer Gesamtheit darzustellen und den Grundgedanken des Gebens wirklich zu leben, veröffentliche ich hier lerntheoretische Inspirationen, meine eigenen Ausbildungskonzepte und persönliche Einblicke in meine Pferdewelt.

Conny Ranz

 

 

Ich bin Pferdefotografin und Grenzgängerin. Mit meiner Kamera bewege ich mich zwischen den Welten. Zwischen Tier und Mensch, zwischen Traum und Realität. Pferde ihrer Natur entsprechend in ihrer ganzen Persönlichkeit zu zeigen, begeistert mich damals wie heute. Dazu bin ich unter anderem europaweit auf den Spuren der Wildpferde unterwegs. Diese Begegnungen erwecken stets den Mut zur Freiheit in mir. Mit meinen Bildern durfte ich bereits an einigen Buchprojekten namhafter Verlage sowie in diversen Pferdemagazinen mitwirken. Vor allem aber verleihe ich damit unserem gemeinsamen Herzensprojekt RPlus aus vollster Überzeugung Flügel.

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AUTHOR: Marlitt Wendt